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EU Agenda 2021: Das kommt auf Europa zu.

Eine Zusammenstellung der wichtigen politischen Dossiers in Brüssel und eine Bitte um Mithilfe bei der Priorisierung.

EU Agenda 2021

2021 wird ein intensives Jahr für die EU: Digitalpolitik, der European Green Deal, die Bewältigung der Pandemie, internationale Beziehungen und vieles mehr.

Am liebsten würde ich im Hauptstadt-Bericht über alle diese Themen ausführliche Beiträge schreiben, denn das meiste hat auch Auswirkungen auf die Schweiz. Leider habe ich nur ein Paar Augen, zehn Finger und zwei durchschnittliche, Twitter-geschädigte Hirnhälften. Deshalb muss ich priorisieren. Und du kannst mir dabei helfen: Was interessiert dich am meisten? 

Informationen zu den einzelnen Themen findest du im Beitrag unterhalb der Umfrage.

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Agenda 2021

In diesem Beitrag präsentiere ich einen Überblick der anstehenden Themen. Du kannst den Beitrag von oben bis unten durchlesen oder mittels der Links in dieser Liste direkt zu den für dich spannendsten Themen springen.

  1. European Green Deal
  2. Digitalpolitik
  3. Konferenz zur Zukunft Europas
  4. Verhandlungen mit Grossbritannien
  5. Investitionsabkommen mit China
  6. Transatlantischer Neustart
  7. Verhandlungen/Abklärungen mit der Schweiz
  8. Überarbeitung der Fiskalregeln für Mitgliedstaaten
  9. Eurozone: Banken-Union vorantreiben
  10. Unternehmensbesteuerung
  11. EU-Lieferkettengesetz
  12. Migration und Asyl
  13. Rechtsstaatlichkeit

1. European Green Deal

2020 hätte das grosse Jahr des European Green Deal werden sollen. Es wurde das grosse Jahr der Pandemie. Umso mehr Aktivität wird deshalb für dieses Jahr erwartet:

  • Klimagesetz: Am Anfang des Jahres werden Verhandlungen zum Klimagesetz zwischen Rat und Parlament stattfinden. Das Parlament will die Emissionen im Vergleich zum Referenzwert von 1990 um 60% senken, der Rat will die Emissionen nur um 55% senken. Wenn der Rat die 60%-Reduktion nicht akzeptieren will, wird er dem Parlament in anderen Bereichen entgegenkommen müssen.
  • Massnahmenpaket: Die EU-Kommission präsentiert im Juni 2021 ein Massnahmenpaket um das im Frühjahr festgelegte Reduktionsziel zu erreichen. So können Parlament und Rat die Vorschläge noch vor dem Welt-Klima-Gipfel im November 2021 diskutieren. Um der Ambition des Klimagesetzes gerecht zu werden, wird die EU-Kommission kaum eine Regulierung unberührt lassen: Die Richtlinie für erneuerbare Energien, der Emissionshandel und viele weitere Bereiche werden betroffen sein.
  • CO2-Zoll: Ebenfalls für Mitte Jahr wird ein Vorschlag für das sogenannte “CO2-Grenzausgleichssystem” erwartet. Dieses Ausgleichssystem soll den Import von Produkten aus CO2-intensiver Herstellung verteuern. Damit will die EU-Kommission verhindern, dass die europäische Wirtschaft durch strengere Emissionsvorschriften einen Wettbewerbsnachteil erleidet.

2. Digitalpolitik

In der Digitalpolitik steht gemeinsam mit der Klimapolitik wohl am meisten regulatorische Arbeit an. Hier einige der wichtigsten Dossiers in diesem Jahr:

  • DSA und DMA: Die im Dezember vorgestellten Regulierungsvorschläge zum Digital Services Act und Digital Markets Act (vorgestellt in diesem Beitrag) werden im Rat und im Parlament diskutiert.
  • Privacy Shield: Im Juli 2020 hat der Europäische Gerichtshof das “Privacy Shield”- Abkommen zwischen der EU und den USA dank einer Klage des Aktivisten Max Schrems für ungültig erklärt. Das widersprüchlich getaufte “Privacy Shield”-Abkommen garantierte den Datenverkehr zwischen der EU und der USA. Das Problem ist aber, dass die USA Datenschutzgesetze (bzw. Überwachungsgesetze) haben, die nicht mit dem europäischen Grundrecht auf Privatsphäre vereinbar sind. Nun muss die EU eine Lösung finden. Die Gefahr besteht, dass der Datenverkehr zwischen den USA und der EU zum Erliegen kommt.
  • Verschlüsselung: Der EU-Rat drängt auf eine Hintertür für Sicherheitsdienste, um die Verschlüsselung von Nachrichten-Apps wie Whatsapp zu knacken. Die Probleme dieser Idee sind in diesem Beitrag zusammengefasst und hier ausführlicher erklärt. Die EU-Kommission scheint etwas weniger begeistert zu sein von den vorgeschlagenen Hintertüren. 2021 wird zeigen, mit welchen Ideen sie dem Bedürfnis des Rats entgegenkommen will.
  • Gaia-X: Mit Gaia-X will die EU eine europäische Cloud-Lösung entwickeln, um die Datensouveränität zu gewährleisten. Gaia-X soll die europäische Wirtschaft unabhängiger machen von grossen US-Firmen. Gegen Ende 2020 nahm die Glaubwürdigkeit des Gaia-X Projekts Schaden, weil die berüchtigte US-Firma Palantir bekanntgab, dass sie am Projekt teilnehmen würde. 
  • Digitaler Euro: Die Europäische Zentralbank will den Euro digitalisieren. Das heisst, sie will Zentralbank-Geld für Einzelpersonen und Unternehmen elektronisch verfügbar machen. Schon im zweiten Halbjahr 2021 will die EZB mit der Testphase beginnen. Der Grund für die Eile ist der Start der Digitalwährung von Facebook und anderen Firmen, der für dieses Jahr vorgesehen ist. Wie elektronisches Zentralbankengeld funktioniert, wird in diesem Podcast gut erklärt.

3. Konferenz zur Zukunft Europas

Ebenfalls durch die Corona-Pandemie in die Zukunft verschoben wurde die 2019 angekündigte Konferenz zur Zukunft Europas. Sie hat zum Ziel, das europäische Projekt grundsätzlich zu überdenken und Änderungsvorschläge anzubringen. Während sich viele Pro-Europäerinnen weitgehende institutionelle Veränderungen erhoffen, scheint der Europäische Rat noch etwas skeptischer zu sein. Die Konferenz hätte 2020 beginnen sollen. Seit Sommer 2020 gilt, dass die Konferenz stattfinden soll, sobald die gesundheitliche Situation es zulässt. 

4. Verhandlungen mit Grossbritannien

Verhandlungen mit Grossbritannien? Ist das jetzt nicht vorbei? Schliesslich gibt es einen Brexit-Deal! Der Brexit-Deal verhinderte zwar das grosse Chaos um die Jahreswende, liess aber noch einige Bereiche ungeregelt. Der Deal beinhaltet zum Beispiel keinen Marktzugang für Finanzdienstleistungen. Die Londoner Finanzbranche wird daran etwas ändern wollen. Zudem müssen sich die EU und Grossbritannien noch im Frühjahr auf ein gemeinsames Vorgehen bezüglich Datentransfers einigen. Wenn sie sich nicht einigen, wird der Datenverkehr zum Leidwesen der Wirtschaft stark eingeschränkt. Ein weiterer, heikler und immer noch nicht vollständig geklärter Punkt ist der Status Nord-Irlands.

5. Investitionsabkommen mit China

In den letzten Tagen des alten Jahres einigten sich die europäischen Staatsschefinnen mit China auf ein “umfassendes Investitionsabkommen” (CAI). Das Problem am CAI ist, dass China kaum Zusicherungen im Bereich der Menschenrechte gemacht hat. Angesichts der Unterdrückung Hongkongs, Tibets und der Masseninternierung von Uiguren in Xinjiang wirft das ein schlechtes Licht auf die sogenannten “europäischen Werte”. Zudem erschwert dieses europäische Vorpreschen den ersehnten Neustart der transatlantischen Beziehungen mit Joe Bidens Administration. Erhebliche Kritik ist auch vom Europäischen Parlament zu erwarten. Das Abkommen ist noch nicht in trockenen Tüchern. Zyniker würden sagen, dass sich das mit den trockenen Tüchern schwierig gestaltet mit all dem Blut an den Händen. 2021 wird Europa eine neue, intensivere Diskussion über Appeasement oder Opposition gegenüber dem chinesischen Regime aufzwingen.

6. Transatlantischer Neustart

Ein EU-freundlicherer US-Präsident übernimmt das Ruder. Die Kommission will mit der US-Regierung bei einer Reihe von Themen gemeinsam Fortschritte machen: Gesundheit, Klima, Technologie, Handel, die Förderung der Demokratie und China. Mehr dazu in diesem Beitrag.

7. Verhandlungen/Abklärungen mit der Schweiz

In Bern steht seit einiger Zeit ein europapolitischer Elefant im Raum: Das Rahmenabkommen. Nach langem Zögern ist Bern nun dazu bereit, einige strittige Punkte zu klären, bzw. wegzuverhandeln. Wie die EU darauf reagiert, ist noch unklar, denn die Position der Chef-Unterhändlerin ist seitens der EU momentan nicht besetzt. Kurz zuvor wechselte der Bundesrat für die Schweiz mit Livia Leu eine neue Chef-Unterhändlerin ein (ich berichtete hier). Auf dem Spiel steht nicht nur die Weiterentwicklung der bilateralen Verträge sondern auch die Teilnahme an der europäischen Forschungskooperation “Horizon Europe” und am Bildungsprogramm “Erasmus+”. Als Verhandlungstaktik könnte die EU den Marktzugang für schweizerische Firmen einschränken. So wird die EU-Kommission im Frühling zum Beispiel entscheiden, ob die schweizerischen Regeln für Medizinprodukte äquivalent sind mit den europäischen Regeln. Gewährt die EU-Kommission diesen Äquivalenz-Entscheid nicht, ergibt sich ein grosser bürokratischer Mehraufwand für schweizerische Firmen. Für Detail-Fragen zum Rahmenabkommen lohnt sich ein Blick in dieses Brevier.

8. Überarbeitung der Fiskalregeln

Die EU regelt die Fiskalpolitik ihrer Mitgliedstaaten, insbesondere jener der Eurozone im sogenannten “Stabilitäts- und Wachstumspakt”. Unter anderem sind in diesem Pakt auch die “Maastricht-Kriterien” für Euro-Länder festgehalten, nämlich dass die Staatsverschuldung 60% und das jährliche Defizit 3% der jährlichen Wirtschaftsleistung nicht übersteigen dürfen. Die Bestimmungen werden momentan Pandemie-bedingt nicht angewandt. Und sowieso: Stabilität und Wachstum konnte dieser Pakt nicht bringen. Deshalb prüft die EU-Kommission 2021 eine Reform. Diese Entwicklung sollte die Schweiz gut beobachten, denn auch die Schweiz wird von einem veralteten Verständnis von Staatsschulden gebremst, wie ich in diesem Beitrag erkläre.

9. Eurozone: Bankenunion vorantreiben

Innerhalb der Eurozone strebt die EU seit längerem eine Bankenunion an. Das Ziel der Bankenunion ist, den Teufelskreis zwischen Banken-Konkurs und Staatsschuldenkrise zu durchbrechen. Gerade beim aktuellen Wirtschaftseinbruch ist dieser Teufelskreis nach wie vor eine reale Gefahr für die Eurozone. Die Eurozone ist zwar besser gewappnet als 2010, aber was ihr noch fehlt, ist eine gemeinsame europäische Einlagensicherung. Ein erster Vorschlag dazu aus dem Jahr 2015 verlief im Sand. 2021 ist ein neuer Vorschlag zu erwarten.

10. Unternehmensbesteuerung

Wie ich in diesem Beitrag berichtete, nimmt in diesem Jahr die neue EU-Steuerbeobachtungsstelle – das “EU Tax Observatory” – unter dem Ökonomen und Steueroasen-Kritiker Gabriel Zucman ihre Arbeit auf. Zudem will die EU-Kommission im zweiten Quartal des Jahres eine Digitalsteuer vorschlagen. Diese richtet sich vor allem an grosse US-Firmen, die in der EU hohe Umsätze machen aber kaum Steuern zahlen. Ebenfalls im Kampf gegen die Steuervermeidung von Unternehmen strebt das europäische Parlament eine neue Reporting-Regelung an, das Country-by-Country-Reporting (CBCR). Durch das CBCR müssen Grosskonzerne offenlegen, in welchem Land sie wieviel Umsatz machen und in welchem Land sie die Steuern bezahlen. Im Rat wurde diese Regelung unter fragwürdigen Umständen abgelehnt. In diesem Jahr kann eine neue Anstrengung für das CBCR erwartet werden.

11. EU-Lieferkettengesetz

Während die Konzerverantwortungsinitiative im November am Ständemehr scheiterte, ist das Verdikt auf EU-Ebene noch unklar. Die EU-Kommission hält derzeit eine öffentliche Konsultation ab für das EU-Lieferkettengesetz, das die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in der Lieferkette europäischer Unternehmen sicherstellen soll. Wie vergleichbar das Gesetz mit der Konzernverantwortungsinitiative sein wird, ist im Moment schwierig einzuschätzen. Mit einem detaillierten Regulierungsvorschlag ist noch in diesem Jahr zu rechnen.

12. Migration und Asyl

Im September 2020 schlug die EU-Kommission den sogenannten Migrationspakt vor, der die Asyl-Politik der EU neu organisieren sollte. In diesem Beitrag behandle ich den Inhalt des Migrationspakts. Er ist zudem relevant für die Schweiz, da die Schweiz sich durch die Schengen- und Dublin-Verträge an der Grenz- und Asylpolitik Europas beteiligt (hier ein kleiner Exkurs dazu). In diesem Jahr wird der Migrationspakt in Rat und Parlament diskutiert. Zudem hat die Kommission neue Vorschläge für legale Migrationswege angekündigt.

13. Rechtsstaatlichkeit in der EU

Im zweiten Halbjahr 2020 einigten sich der Europäische Rat und das Parlament auf eine Rechtsstaatlichkeitsklausel im mehrjährigen Budget der EU. Sie soll es ermöglichen, dass den Mitgliedstaaten die EU-Gelder gekürzt werden, wenn sie gegen rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien verstossen. Im Dezember schwächte der Europäische Rat seine Zusage in einem speziellen politischen Manöver ab. Mehr zu diesem Manöver findest du in diesem Beitrag. 2021 wird ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs über die Rechtmässigkeit der Klausel erwartet. Danach bleibt zu beobachten, ob Kommission und Rat sich trauen, die Rechtsstaatlichkeitsklausel anzuwenden.


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