Kategorien
Migration und Rechtsstaat Schweiz

Frontex-Referendum: Weckt die Schlafwandler

Das Frontex-Referendum bietet die Möglichkeit zum demokratischen Widerstand gegen die unmenschliche europäische Migrationspolitik.

In der vergangenen Herbstsession beschloss das schweizerische Parlament die Erhöhung des Schweizer Beitrags zur europäischen Grenzschutzbehörde. Die Schweiz soll Frontex mehr Geld und Personal zur Verfügung stellen, da sie sich als Teil des Schengenraums an der Weiterentwicklung der europäischen Grenzpolitik beteiligen muss.

Linke Parteien wollten die Beitragserhöhung nur unter der Bedingung unterstützen, dass die Schweiz mehr Flüchtlinge aufnimmt, doch sie wurden vom bürgerlichen Lager überstimmt.

Nun haben linke Jungparteien und NGOs das Referendum ergriffen, um die Schweizer Beitragserhöhung zu verhindern. Wenn das Referendum zustandekommt, bietet sich der Schweizer Bevölkerung die europaweit einmalige Möglichkeit, direktdemokratischen Widerstand gegen die europäische Migrationspolitik zu leisten.

Und die europäische Migrationspolitik hat Widerstand verdient.

Europas hässliche Fratze

In Griechenland ziehen Grenzwächter die Flüchtlinge auf Schlauchbooten ins Meer, wo sie dann ohne Motor sich selbst überlassen werden.

In Kroatien werden Flüchtlinge durch halboffizielle Kommandos verprügelt, ihrer Kleider beraubt und wieder über die Grenze zurückgetrieben.

An der Grenze Polens lässt die polnische Regierung Migranten verhungern und erfrieren, die durch den belarussischen Diktator dorthin transportiert wurden.

Nach den grossen Migrationsbewegungen im Sommer 2015 schlug die EU-Kommission eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik vor. Aber da einige osteuropäische Regierungen, vor allem jene Ungarns und Polens, sich einer gemeinsamen Lösung verweigerten, blieb der Vorstoss der Kommission erfolglos. Auch der neue Vorschlag, den die Kommission im vergangenen Herbst veröffentlichte, scheint aktuell chancenlos.

Den anderen Regierungen der EU-Mitgliedstaaten (und dem schweizerischen Bundesrat) bietet die osteuropäische Verweigerung eine Ausrede, selbst nicht mehr für eine menschlichere Flüchtlingspolitik zu machen. “Es braucht eine europäische Lösung”, wiederholen die Regierenden immer wieder, obwohl sie wissen, dass es diese nicht geben wird – zumindest nicht eine, die menschenrechtskonform wäre.

Abschreckung

An ihrem voraussichtlich letzten EU-Gipfel bedauerte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass die EU sich bisher nicht auf eine gemeinsame Migrationspolitik einigen konnte. Aber nur weil die sich nicht auf eine Lösung einigen konnte, die Merkel also solche anerkennen würde, heisst das nicht, dass es keine gemeinsame Migrationspolitik gibt.

Die Missbräuche an Europas Grenzen sind die gemeinsame europäische Migrationspolitik.

Denn auf neue, repressive Massnahmen konnten sich die europäischen Regierungen einigen. Die Grenzschutzbehörde Frontex wurde ausgebaut und die Missbräuche an der Grenze werden geduldet. Das Menschenrecht, einen Asylantrag stellen zu dürfen, ist faktisch ausgehebelt.

Benebelt durch eine Mischung aus Uneinigkeit, Duldung und aktiver Repression taumelt Europa in eine Migrationspolitik, deren Hauptzweck die Abschreckung ist, und die jedem die Schamesröte ins Gesicht treibt, der mit “europäischen Werten” argumentieren will.

Und die Schweiz ist Teil dieser Migrationspolitik. Als assoziiertes Mitglied des Schengenraums werden die Menschen an Europas Grenzen auch im Namen der Schweiz verprügelt.

Ein Referendum mit Chancen

Der Widerstand gegen diese Politik beschränkte sich bisher mehrheitlich auf Aktionen der Zivilgesellschaft: Demonstrationen machen auf die Misstände aufmerksam und zivile Seenotretterinnen helfen im Mittelmeer.

Auch im europäischen Parlament bildete sich ein wenig Widerstand gegen die Frontex-Praktiken. Aber die einzigen, die es in der EU wirklich in der Hand haben, die Migrationspolitik zu verändern, sind die nationalen Regierungen. Und von denen hat sich nach 2015 keine mehr getraut, ernsthaft für eine offenere Migrationspolitik einzustehen.

Das Referendum gegen die Beitragserhöhung für Frontex wäre die einmalige Möglichkeit, direktdemokratischen Widerstand gegen die Migrationspolitik der EU zu leisten. Das Referendum hat dank einer unheiligen Allianz realistische Chancen.

Die SVP sieht mit der Migrationspolitik und der Europapolitik ihre zwei Hauptthemen im Konflikt. Linke und linksliberale Akteure dürften sich entweder gegen die Beitragserhöhung einsetzen oder sich enthalten.

Eine Kampagne für die Beitragserhöhung dürfte also bei FDP, Mitte-Partei, und Bundesrätin Karin Keller-Sutter hängen bleiben. Diese konservativen Akteure wären dann zu einer zumindest ansatzweise pro-europäischen Kampagne gezwungen.

Realistisch bleiben

Dabei dürfen sich die Initiantinnen des Referendums nicht zu viele Hoffnungen machen: Die EU wird ihre Flüchtlingspolitik nicht plötzlich humaner machen, weil die Schweizer Bevölkerung sich gegen die Erhöhung des Frontex-Budgets wehrt.

Der Erfolg des Referendums wäre ein Tritt ans Schienbein eines Europas, das schlafwandelnd einen immer repressiveren Weg einschlägt. Eine Irritation, ein Moment der Verwunderung, mit etwas Glück ein Impuls zur Debatte und breiteren Kritik. Mehr darf man sich nicht erhoffen.

Dennoch gehört ein schlafwandelndes Europa ans Schienbein getreten.

Bei einem Erfolg des Referendums wäre die Schengen-Mitgliedschaft der Schweiz in Gefahr. Der Bundesrat wäre unter Druck, möglichst schnell einen Kompromissvorschlag vorzulegen. Dabei könnten die linken Parteien vielleicht die Bedingungen durchbringen, auf die sie von Anfang an gepocht hatten: Mehr Unterstützung für Frontex gibt es nur, wenn die Schweiz auch mehr Flüchtlinge aufnimmt. Das Referendum hat trotz allem das Potenzial das Leben für einige Menschen auf der Flucht verbessern.

Selbst wenn das Referendum nicht erfolgreich sein sollte, so würde die Debatte darüber uns in Erinnerung rufen, dass wir für die Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen Europas mitverantwortlich sind.

Hier kannst du einen Unterschriftenbogen für das Referendum herunterladen.