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Europa in der Welt Schweiz

Wie weiter in der China-Politik?

Es ist Zeit, eine politische Brille aufzusetzen. Der abschliessende Teil 4 einer Text-Serie zur europäischen und schweizerischen China-Politik.

Die China-Serie

In den ersten drei Texten der China-Serie (hier findest du Teil 1, Teil 2 und Teil 3) analysierte und kritisierte ich die europäische und die schweizerische China-Politik. In diesem Beitrag zeige ich einige Möglichkeiten auf, wie die Politik auf die Herausforderung des chinesischen Regimes reagieren kann. Zuerst aber zu einer grossen, unbeantworteten Frage.

Die offene Frage

Eine der wichtigsten offenen Fragen ist, wie eine Eskalationsspirale verhindert werden kann. Bei aller berechtigten China-Kritik dürfen zwei Punkte nicht aus den Augen verloren werden: 

  • Das chinesische Regime ist mächtig und wird Einfluss auf die Welt nehmen, ob das den demokratischen Staaten passt oder nicht.
  • Eine Eskalation der Systemrivalität in einen kriegerischen Konflikt wäre eine Katastrophe.

Die totale Konfrontation ist also keine Option. Gleichzeitig dürfen demokratische Staaten keine Appeasement-Politik gegenüber dem chinesischen Regime fahren. So eine Politik würde das Regime nur zu einem noch aggressiveren Verhalten ermutigen. 

Diese heikle Frage nach der Balance zwischen Konfrontation und Appeasement, vor allem in sicherheitspolitischer Hinsicht, lasse ich in den folgenden Absätzen unbeantwortet und beschränke mich für den Moment auf Massnahmen, deren Eskalationspotenzial nicht ganz so hoch ist.  

Abhängigkeit reduzieren

Das chinesische Regime will die ökonomische Kraft Chinas für seine geopolitischen Ambitionen ausnutzen. Es zielt darauf ab, europäische Märkte möglichst abhängig vom chinesischen Markt zu machen und so einen Hebel in die europäische Politik zu erhalten. Trotzdem buhlen die Schweiz und die EU unverdrossen um noch mehr Zugang zum chinesischen Markt.

Das ist kurzsichtig. 

Europa sollte seine Abhängigkeit von China reduzieren. Das heisst, dass die EU strategischer über Produktionskapazitäten in der EU und Zugang zu Rohstoffen nachdenken muss. Die EU sollte versuchen, andere Absatzmärkte zu entwickeln. Es braucht nicht zwingend eine vollständige “Abkopplung” vom chinesischen Wirtschaftsraum. Aber die EU kann dafür sorgen, dass sie sich nicht noch mehr “ankoppelt”. Es kann sein, dass die Beziehungen zum chinesischen Regime sich so weit verschlechtern, dass irgendwann eine Abkoppelung nötig wird. Die EU und die Schweiz müssen jetzt die Voraussetzungen schaffen, dass diese allfällige Abkoppelung nicht mit zu hohen Kosten verbunden wäre.

Gemeinsam investieren

Einer der Faktoren, welche die EU auf Spaltungsversuche von anderen Mächten anfällig macht, ist ihre schlechte Wirtschaftspolitik. Der Sparzwang hat die Wirtschaft südeuropäischer Länder klein gehalten, während exportorientierte Wirtschaften wie jene  Deutschlands und der Niederlande profitieren konnten. Der Sparzwang erschwert Investitionen. Die Übernahme des griechischen Hafens von Piräus durch chinesische Investitionen war nur möglich, weil die griechische Regierung sich an die Fiskalregeln der EU halten musste. 

Im Zuge der Corona-Krise hat die EU einen wichtigen Schritt hin zu einer gemeinsamen Schuldenaufnahme gemacht. Aber nach der zweiten und dritten Covid-Welle sieht das Wiederaufbau-Paket der EU schon wieder zu dürftig aus. Die EU muss sich trauen, mehr Geld gemeinsam auszugeben und in die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft zu investieren. Ohne Solidarität innerhalb der EU ist ein geeintes Auftreten gegenüber dem chinesischen Regime nur schwer möglich.

Durch höhere gemeinsame Investitionen hat die EU ihrerseits einen Hebel, um autokratischen Tendenzen in Mitgliedsländern wie Ungarn und Polen entgegenzuwirken. Sie würden diese Länder stärker an die EU binden.

Auf Freiheit setzen

Während im Kalten Krieg neben fundamental verschiedenen politischen Systemen auch  zwei Wirtschaftssysteme im Konflikt standen, beschränkt sich die heutige Systemrivalität vor allem auf das politische System. Der zentrale Konflikt ist nicht zwischen dem chinesischen Staatskapitalismus, dem US-amerikanischen Kapitalismus und der europäischen sozialen Marktwirtschaft. Der zentrale Konflikt findet zwischen der liberalen Demokratie und dem Totalitarismus statt.  

Auch wenn Europa und die USA versuchen sollten, dies zu verhindern: Das chinesische Regime hat möglicherweise das Potenzial die Demokratien wirtschaftlich und technologisch zu überholen. Bei den politischen Freiheiten hingegen kann das Regime per Definition nie mit den Demokratien gleichziehen. Das heisst für Demokratien, dass sie ihre freiheitlichen Errungenschaften pflegen und zelebrieren sollten. Sie sollten auch Chinesinnen und Chinesen die Möglichkeit geben, diese Freiheiten zu nutzen. Vereinfachte Asylgewährung für Asylsuchende aus China könnten ein Mittel dazu sein. Grossbritannien geht mit den Bürgerinnen Hongkongs auf diesem Weg voran.

Wieviel sind Werte wert?

Der Schweizer Bundesrat will die wirtschaftlichen Beziehungen zu China nicht an menschenrechtliche Bedingungen knüpfen. Er begründet seine Haltung es so, dass dies den Interessen der Schweiz schaden würde und man ohnehin keinen Einfluss auf die Menschenrechtspolitik des chinesischen Regimes habe.

Wie ich in diesem Beitrag erklärt habe, liegt der Bundesrat nicht falsch. Doch unterschlägt der Bundesrat damit den ideellen Wert der Menschenrechte. Das mag nach etwas zu viel Pathos klingen für die harte Welt der Geopolitik. Wenn der zentrale Streitpunkt aber, wie ich behaupte, der Konflikt zwischen liberaler Demokratie und Totalitarismus ist, dann werden Werte und Prinzipien zur harten Währung. Sie definieren den wichtigsten Unterschied zwischen den beiden Staatsformen. 

Wenn liberale Demokratien diese Werte nicht mehr hochhalten, sobald sie etwas kosten, signalisiert das auch innenpolitisch, dass sie nicht viel wert sind. Die liberalen Demokratien  riskieren mit dieser Haltung, dass diese Werte auch innenpolitisch nicht mehr durchgesetzt werden. So droht aus einer Systemrivalität auf Basis unterschiedlicher Werte ein Grossmachtkonflikt auf Basis anderer Kriterien zu werden. In der Regel bieten sich Nationalismus und Rassismus in solchen Situationen gerne an.

Sanktionen gegen Verantwortliche der Unterdrückung der uigurischen Minderheit in Xinjiang oder der Boykott von Produkten, die durch uigurische Zwangsarbeit hergestellt werden, sind deshalb zu begrüssen. Die Schweiz sollte wie die EU, Grossbritannien, die USA und Kanada einen “Magnitsky Act” einführen. Dieser ermöglicht es, Sanktionen gegen hochrangige Regierungsvertreterinnen zu ergreifen, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Nationalrat Fabian Molina versucht aktuell, einen “Magnitsky Act” in der Schweiz mittels einer parlamentarischen Initiative einzuführen.

China ist nicht die Alternative zu Europa

Trotz der menschenrechtlichen Bedenken gibt es in der Schweiz Stimmen, die sich einen Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen mit China wünschen. Sie sehen den grossen und wachsenden chinesischen Markt als attraktive Alternative zum europäischen Markt. SVP-Nationalrat Roger Köppel meinte, die China-Strategie des Bundesrats sei ein Ärgernis, weil sie das chinesische Regime verstimmte. 

Eine schweizerische Abkehr von der EU zugunsten des chinesischen Markts wäre doppelt unklug. Erstens dürfte das chinesische Regime die wirtschaftliche Abhängigkeit stärker ausnutzen als die EU. Zweitens könnte die EU die Schweiz als Reaktion darauf stärker vom Binnenmarkt ausschliessen. Denn in ihrer Bemühung um strategische Autonomie wird die EU protektionistischer, sie zieht klarere Grenzen zwischen “innerhalb” und “ausserhalb” des Binnenmarkts. 

Von der Marktbrille zur politischen Brille

Vieles ist in dieser Beitrag-Serie zur europäischen und schweizerischen China-Politik unerwähnt geblieben, so zum Beispiel die Rolle der USA und anderer Staaten. Auch Details zur wirtschaftlichen Vernetzung zwischen China und Europa liess ich weg.

Hoffentlich konnte ich dich mit dieser Serie dazu bewegen, deine Marktbrille abzusetzen und die Beziehungen zu China durch eine politische Brille zu betrachten. In den Beziehungen zum chinesischen Regime geht es nur kurzfristig um Gewinn, Effizienz und Umsatzsteigerung. In den Beziehungen zum chinesischen Regime geht es eigentlich um Macht und Abhängigkeit, Krieg und Frieden, Demokratie oder Totalitarismus. 

Je schneller die Verantwortlichen der europäischen und der schweizerischen China-Politik lernen, durch diese Brille zu schauen, desto besser.

PS: Und was ist mit dem Klimawandel?

Die EU und die Schweiz sehen das chinesische Regime als Kooperationspartnerin im Kampf gegen den Klimawandel. Wenn das geopolitische Umfeld konfrontativer wird, dürfte aber diese internationale Kooperation bei der Bekämpfung der Klimaerwärmung darunter leiden. Da China wie alle anderen Länder unter den Folgen des Klimawandels leiden wird, ist es im Interesse aller, ein gewisses Mass an Kooperation aufrechtzuerhalten. Aber das ist nicht garantiert. Es sind also Massnahmen gefragt, die den Klimawandel global bekämpfen, auch wenn die internationale Kooperation schwächelt. 

Welche Massnahmen? Massive Investitionen in die Forschung und die Wettbewerbsfähigkeit grüner Technologien. Wenn die grünen Technologien ihre fossilen Vorgänger qualitativ übertreffen und weniger kosten, dann setzen sie sich weltweit durch. Nicht weil sie grün sind, nicht weil Regierungen sich darauf geeinigt haben, sondern weil sie besser sind. 

Diese Investitionen sind auch unabhängig von der China-Politik wichtig. Und das Geld dazu ist vorhanden. Wie Klimapolitik ohne Kooperation funktionieren könnte, zeigt dieser Artikel sehr anschaulich für die Schweiz.