Kategorien
Schweiz

Vorschlag zur Stärkung der Schweizer Demokratie

Ein Schweizer Europa-Parlament könnte der Schweizer Demokratie dabei helfen, sich in die europäische Innenpolitik einzubringen.

Ein Teil der schweizerischen Innenpolitik findet in Brüssel statt. Die Grenzpolitik wird hier bestimmt, das Internet wird hier geregelt, Standards der Finanzindustrie werden hier gesetzt.

Klassisch innenpolitische Fragen über Ungleichheit, Macht, Freiheit und Kontrolle werden europäisch gelöst. In diesen Fragen fällt es einem Staat schwer, ein gemeinsames, aussenpolitisches Interesse zu formulieren. Die Interessenunterschiede liegen weniger zwischen den einzelnen Nationalstaaten sondern zwischen verschiedenen politischen Gesinnungen. 

So ist die Frage nach mehr oder weniger Datenschutz keine Abwägung zwischen portugiesischen und lettischen Staatsinteressen. Es ist eine Frage zwischen Wirtschaftsfreiheit und dem Recht auf Privatsphäre.

Ein Parlament für die Innenpolitik

Die europäischen Institutionen tragen diesem Umstand durch das europäische Parlament Rechnung. Im Parlament findet die Diskussion entlang der Gräben verschiedener politischer Gesinnungen statt: Grüne gegen Konservative, Christdemokraten gegen Sozialistinnen.

Der Prozess der europäischen Innenpolitik ist nicht perfekt. Die Diskussionen im Parlament erreichen die nationalen Medienlandschaften nur selten. Zudem ist der Einfluss des Parlaments eingeschränkt. Dennoch ist der Entscheidungsprozess des europäischen Parlaments ein innenpolitischer Prozess und somit besser geeignet, um innenpolitische Fragen zu beantworten, als wenn nationale Regierungen miteinander verhandelten.

Das “Schweizer Interesse”

Die europäische Innenpolitik führt zu Regelungen, die auch die Schweiz betreffen. Als Nichtmitglied hat die Schweiz aber keinen Zugang zum innenpolitischen Prozess Europas. Die Schweiz ist in Brüssel durch einige (wenige) Konzerne und die Schweizer EU-Mission vertreten. Die Schweizer Mission ist als Teil des Aussendepartements eine aussenpolitische Institution. Sie muss das Interesse der Schweiz auf einen gemeinsamen Nenner bringen und diesen dann gegenüber den europäischen Institutionen vertreten. 

Bloss: Was ist das “Schweizer Interesse” im Datenschutz? Was ist das “Schweizer Interesse” bei der Regulierung der Plattformökonomie? Und bei der Asylpolitik?

Oft scheint es unmöglich, dieses Interesse einheitlich zu definieren. Als ich im Dezember 2020 nach der Veröffentlichung des Regulierungsvorschlags zum Digital Markets Act die Schweizer EU-Mission um eine Stellungnahme bat, wurde ich ans Seco verwiesen. Das Seco wiederum sagte, man beobachte die Situation. Es sei ja noch nichts entschieden worden.

Es scheint kein Wille zu bestehen, sich an der Entscheidung zu beteiligen. Wie denn? Man weiss ja nicht, welches das Interesse der Schweiz ist. 

Aber auch wenn die Schweiz als Ganzes ihr Interesse nicht formulieren kann: Bei diesen Entscheidungen geht es um die Interessen der Schweizer Bevölkerung. Das Schweizer Interesse ist vorhanden aber nicht definierbar, weil es vielstimmig ist.

Schwaches Parlament

Im innenpolitischen Prozess sind die Parlamentarierinnen und Parteien dafür zuständig, sich für die verschiedenen Interessen der Bevölkerung einzusetzen. Sie wären also die richtigen Kandidatinnen, um sich auch im innenpolitischen Prozess Europas einzubringen.

Doch die Parlamentarierinnen und Parteien haben keine Ressourcen, um sich um europäische Innenpolitik zu kümmern. Sie haben schon Schwierigkeiten, sich über europäische Politik zu informieren. Als ich sie danach fragte, ob sie sich auch auf europäischer Ebene einbringen, winkten sie belustigt oder resigniert ab. “Wir haben schon mit der Schweizer Politik genug zu tun”, lautete der Tenor.

Das Schweizer Milizsystem lässt die Schweizer Legislative dermassen unterressourciert, dass Parlamentarierinnen sich nicht auch noch mit europäischer Politik befassen können.

Das Problem beschränkt sich nicht auf die Europapolitik. Wer neben dem Parlamentsmandat noch einen Job ausführen will – was eigentlich die Idee eines Milizparlaments wäre – hat keine Zeit, sich detailliert mit verschiedensten Gesetzesvorschlägen auseinanderzusetzen. Eine Parlamentarierin ist also angewiesen auf Organisationen, die ihr diese Arbeit abnehmen.

So garantiert das Milizsystem, dass das Parlament und mit ihm die Schweizer Demokratie schwach bleibt. Es tritt seinen Einfluss notgedrungen an kräftig finanzierte Interessenverbände und die Bundesverwaltung ab, in der sich ganze Abteilungen mit den Gesetzestexten beschäftigen.

Demokratisches Manko

In der europäischen Innenpolitik zeigt sich die Schwäche des Schweizer Parlaments exemplarisch. Ausser einer EFTA-Parlamentsdelegation, die auch Kontakte zum EU-Parlament pflegt, gibt es keine Verbindungen zwischen dem Schweizer Parlament und der europäischen Innenpolitik. 

Die National- und Ständerätinnen können den Bundesrat beauftragen, das Parlament über ein bestimmtes europapolitisches Thema zu informieren. Aber dies ist kein direkter Hebel des Parlaments in die europäische Innenpolitik, sondern ein Umweg über die Regierung und Verwaltung, welche Europapolitik nach wie vor als Aussenpolitik behandeln.

Der fehlende Schweizer Einfluss auf die europäische Innenpolitik ist ein demokratisches Manko. 

Der offensichtliche Weg, dieses Manko zu beheben, wäre der EU-Beitritt. Aber der ist momentan nicht mehrheitsfähig. Zudem ist schwierig abzuschätzen, wie eine Vollmitgliedschaft sich auf andere Institutionen der Schweizer Demokratie auswirken würde. Gefragt sind also andere Ideen, wie der Einfluss der Schweizer Demokratie auf die europäische Innenpolitik gestärkt werden könnte. 

Kommission für Europapolitik?

Eine Möglichkeit wäre, eine neue parlamentarische Kommission für Europapolitik einzusetzen. Sie würde sich unabhängig von der aussenpolitischen Kommission (APK) mit Fragen beschäftigen, die sich aktuell in der europäischen Innenpolitik stellen. Eine neue Kommission dürfte der europäischen Innenpolitik zwar zusätzliche Visibilität geben aber nichts an den beschränkten Ressourcen der Schweizer Demokratie ändern. Zudem geht diese Idee das Problem des fehlenden Einflusses des Schweizer Parlaments und damit der Schweizer Demokratie auf die europäische Innenpolitik nicht an.

Verbände, Unternehmen und Staaten vertreten ihre Interessen in der EU durch Lobbyistinnen und Diplomatinnen, also bezahlte Interessenvertreterinnen. Die Schweizer Parteien können sich keine eigenen Vertretungen leisten. Zudem sollte der Einfluss Schweizer Parteien in der EU nicht davon abhängen, wie viele Spenden sie erhalten. Ihr Einfluss sollte sich proportional zu ihrem Wähleranteil verhalten.

Lobbyistinnen der Schweizer Demokratie

Ein Lösungsvorschlag: Ein kleines Schweizer Europa-Parlament in Brüssel. Bei den Gesamterneuerungswahlen für National- und Ständerat sollten zusätzlich schweizweit zwanzig Sitze für ein Schweizer Europa-Parlament in Brüssel gewählt werden. Die gewählten Parlamentarierinnen erhalten ein anständiges Salär und ein Büro in Brüssel. Ihre Aufgabe besteht darin, sich in den Fraktionen ihrer europäischen Mutterparteien einzubringen und Informationen zurück in die Schweiz zu spielen.

Durch die Einrichtung des Schweizer Europa-Parlaments in Brüssel könnte die Schweizer Demokratie ihren Einfluss in der EU verstärken, unabhängig davon, ob die EU einverstanden ist oder nicht. Zudem würde der Informationsfluss zwischen der Schweiz und der EU verbessert. Dies würde das gegenseitige Unverständnis reduzieren und so die jahrelange Blockade der Schweizer Europa-Politik abbauen.

Der Vorschlag des Schweizer Europa-Parlaments mag etwas verrückt klingen. Aber die EU ist eine einzigartige Institution und die Schweiz ist in einer noch spezielleren Situation – so stark verwoben und doch nicht dabei. Und eine spezielle Situation erfordert eine spezielle Lösung. 

Was denkst du vom Schweizer Europa-Parlament in Brüssel? Hast du eine andere Idee, wie die Schweizer Demokratie besser an der europäischen Innenpolitik teilnehmen könnte? Ich freue mich auf dein Feedback und deine Ideen.

Maximal ein Mail pro Woche.