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“Smart Followers” – Der Schweizer Finanzplatz und die EU-Taxonomie

Der Schweizer Finanzplatz will den “Sustainable Finance” Markt anführen. Doch wenn es darum geht, eine verbindlichen Definition für nachhaltige Geschäfte einzuführen, ist der Führungswille schnell verpufft.

Der Schweizer Finanzplatz und die EU-Taxonomie

Die EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzprodukte nimmt langsam Form an. Sie soll definieren, welche Geschäftspraktiken als nachhaltig gelten. Auf Basis dieser Definition wissen Banken, andere Vermögensverwalterinnen und ihre Kundinnen, welche Investitionen als nachhaltig gelten und welche nicht. 

Die Taxonomie ist eine Grundvoraussetzung für eine nachhaltige Finanzindustrie. Die klare Definition verhindert “Greenwashing” – so nennt man die Praktik, Finanzprodukte als nachhaltig zu verkaufen, obwohl sie es nicht sind. Mehr zur EU-Taxonomie findest du in diesem Beitrag. 

“Ein global führender Standort”

Während die EU am Fundament ihrer nachhaltigen Finanzindustrie baut, stellt sich auch für das Bankenland Schweiz die Frage, wie es sich zur Taxonomie positionieren soll.

“Der Schweizer Finanzplatz soll ein global führender Standort für nachhaltige Finanzdienstleistungen sein”, verkündete der Bundesrat im Juni 2020 in seinem Bericht zur Nachhaltigkeit im Finanzsektor. Der Bericht geht auch auf die Taxonomie ein. Er bewertet die Einführung einer Taxonomie als “grundsätzlich sinnvoll” und als eine “Voraussetzung für einige andere Massnahmen.”

Trotzdem sieht der Bericht des Bundesrats keinen Regulierungsbedarf. Er schliesst sich damit der Sichtweise der Branchenverbände an, die ihrerseits keinen Regulierungsbedarf sahen. 

Der Bericht erwähnt, dass die Branchenverbände freiwillig eine Taxonomie einführen könnten. Im gleichen Kapitel steht aber auch: “Die Erarbeitung einer eigenen Taxonomie im Sinne der EU ist bei den Branchenverbänden zurzeit nicht geplant.” Der Bundesratsbericht stützt sich dabei unter anderem auf die Bankiervereinigung, den Schweizerischen Versicherungsverband (SVV) und “Swiss Sustainable Finance” – ein Verband von Schweizer Unternehmen in der Vermögensverwaltung.

Was heisst schon Sustainable Finance?

Aus dem Bericht geht nicht hervor, ob die Branchenverbände sich gegen die Taxonomie als solche wehren oder nur gegen eine eigene Schweizer Taxonomie. Überraschend ist die Haltung von Swiss Sustainable Finance. Weshalb stellt sich ein Verband mit “Sustainable Finance” im Namen gegen eine Massnahme, die als Grundvoraussetzung für einen funktionierenden Sustainable Finance Markt gilt?

Die EU-Kommission bewertet die Taxonomie in ihrem Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums” als ihre “wichtigste und dringlichste Massnahme”. Sieht Swiss Sustainable Finance das anders? Ich weiss es nicht, denn der Verband will keine Stellung nehmen.

Etwas klarer ist die Position des SVV. Eine eigene Taxonomie sehen die Schweizer Versicherer nicht als zielführend. Aber “sofern zur Wahrung respektive der Stärkung der Exportfähigkeit und der Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Finanzindustrie notwendig”, begrüsst der SVV eine mit der EU-Taxonomie harmonisierte Taxonomie in der Schweiz. Begeisterung klingt anders.

Taxonomie? Ja, aber…

Für die schweizerische Bankiervereinigung ist klar, dass es früher oder später eine Taxonomie braucht. “Braucht es eine Taxonomie? Ja. Braucht die Schweiz eine eigene Taxonomie? Nein. Soll die Schweiz die Taxonomie der EU eins zu eins übernehmen? Nein, da es verschiedene Taxonomien gibt und die Schweizer Gesetzgebung einen prinzipienbasierten Ansatz verfolgt. Es braucht eine Taxonomie, die für das Umfeld, in der sie angewendet wird, relevant ist. ”, erklärt Hans-Ruedi Mosberger von der Bankiervereinigung.

Die Banken setzen auf Selbstregulierung. Wo es Sinn macht, wollen sich die Banken auf eine gemeinsame Taxonomie einigen, die relevant ist und dann auch international kompatibel sein soll, so Mosberger.

Verbindlich durchsetzbar ist eine solche Selbstregulierung in der Regel nicht. Aber sie könnte die Basis bilden für eine künftige, staatliche Regulierung.

Wichtig scheint der Bankiervereinigung, dass die Schweiz bei der Taxonomie nicht vorprescht. Sie begründet das mit der dynamischen Entwicklung in der EU und auf weiteren Finanzplätzen. Für die Bankiervereinigung wäre es verfrüht, sich bereits jetzt auf einen bestimmten Ansatz festzulegen, ohne zu wissen, was die anderen Finanzplätze und Regulatorinnen machen.

Das klingt alles sehr vorsichtig und Vorsicht ist keine schlechte Qualität für Vermögensverwalterinnen. Aber wie soll der Schweizer Finanzplatz so zum “global führenden Standort für nachhaltige Finanzdienstleistungen” werden?

“Regulierungsbedarf nicht gegeben”

Der Bund gibt sich bedeckt. Im Dezember 2020 gab der Bundesrat dem Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) den Auftrag, “bei Bedarf” bis im Herbst 2021 Änderungen im Finanzmarktrecht vorzuschlagen, um Greenwashing zu verhindern.

Auf die Nachfrage, welche Änderungen im Finanzmarktrecht geplant seien, verweist das SIF auf den Bericht des Bundesrats vom Juni 2020. Die darin ausgedrückte Haltung zur Taxonomie sei immer noch aktuell. Konkreteres könne man noch nicht kommunizieren.

Zur Taxonomie steht im Bericht des Bundesrats zweierlei. Einerseits “könnte eine staatliche Umsetzung [der Taxonomie] einen Wettbewerbsvorteil und die effizienteste Lösung darstellen”. Andererseits heisst es auch: “Aktuell ist dieser Regulierungsbedarf nicht gegeben.”

Welcher Teil dieser scheinbar widersprüchlichen Positionierungen überwiegt, wird sich im Herbst zeigen, wenn das SIF ihre Resultate präsentiert. 

Taxonomie als Chance?

Klar ist, dass der Schweizer Finanzplatz mit der EU-Taxonomie kompatibel sein will, um den Marktzugang sicherzustellen. Aber Kompatibilität bedingt nicht zwingend eine buchstäbliche Übernahme der EU-Taxonomie. Kompatibilität lässt einen gewissen Spielraum zur eigenen Gestaltung. Wie wird der Schweizer Finanzplatz diesen Spielraum nutzen? 

Diese Frage stellt sich angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen um die EU-Taxonomie. Es besteht die Gefahr, dass mit der EU-Taxonomie passiert, was fast immer passiert, wenn viel Geld im Spiel ist. Sie wird politisiert. So konnte sich die EU bisher zum Beispiel nicht zu einer einheitlichen Haltung durchringen, ob Erdgas als nachhaltig gelten soll oder nicht. 

“Wenn die EU-Taxonomie politisiert wird, verliert sie ihre Glaubwürdigkeit”, sagt der grüne Nationalrat Gerhard Andrey. Und wenn es dazu kommt, hätte der Schweizer Finanzplatz die Chance, die Führung zu übernehmen.

“Für vertrauenswürdige, nachhaltige Produkte wird es einen Markt geben”, meint Andrey. Aber er fügt hinzu: “Ich spüre wenig Dynamik. Der Schweizer Finanzplatz fährt eine Discounterstrategie. Man will zwar von der Nachfrage für grüne Finanzprodukte profitieren, ohne sich dafür engagieren zu müssen.”

“Smart Followers”

Mosberger von der Bankiervereinigung widerspricht: “Wenn man sich anschaut, wieviel der in der Schweiz verwalteten Vermögen unter Einbezug von Nachhaltigkeitskriterien verwaltet werden – es sind 30% – muss die Schweiz sich überhaupt nicht verstecken.”

Die Bankiervereinigung sieht auch keinen Wettbewerbsvorteil darin, wenn die Schweiz sich mit einer besonders stringenten Taxonomie hervortut. “Wir wollen keine regulatorischen Vorreiter sein, sondern ‘smart followers’”, bringt Mosberger die Strategie der Bankiervereinigung für den Schweizer Finanzplatz auf den Punkt.

Die Schweiz will zum global führenden Standort für nachhaltige Finanzdienstleistungen werden, aber niemand will führen.