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Das Rahmenabkommen: Pro-europäische Kapitulation

Dem Rahmenabkommen fehlt die pro-europäische Kritik.

Rahmenabkommen

Das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU wird gerne totgeredet und totgeschrieben. Es ist unklar, wie es weitergehen soll. Ulrich Gut brachte in seinem Blog die Idee auf, das Rahmenabkommen von pro-europäischer Seite aus zu torpedieren. Die allmähliche Erosion der bilateralen Verträge würde die Situation in der Schweiz so weit verschlechtern, dass mittelfristig ein EU-Beitritt wieder realistisch wird, so der Gedanke.

Ich glaube nicht, dass politische Strategien erwogen werden sollten, die eine Verschlechterung der Lebensumstände für die Bevölkerung als Zwischenschritt vorsehen. Zudem ist nicht sicher, dass die Öffentlichkeit unter verschlechterten Umständen so reagiert, wie Gut sich das erhofft. Krisen nähren auch unappetitliche politische Kräfte. Gut bringt aber einen wichtigen Aspekt in die Debatte um das Rahmenabkommen ein: Die Absenz einer pro-europäischen Opposition.

Von wegen pro-europäisch

Das Rahmenabkommen scheint giftig. Es sieht so aus, als ob nur noch die NEBS, die Operation Libero, die Economiesuisse und die GLP für das Rahmenabkommen einstehen. Die anderen Parteien sind in der aktuellen Version dagegen oder intern gespalten.

Die Operation Libero wirbt mit pro-europäischen Parolen (für die ich bis vor Kurzem mitverantwortlich war), die GLP preist das Rahmenabkommen mit den Worten «mehr Europa wagen» an und die NEBS ist per Definition pro-europäisch. Angesichts dieser Unterstützerinnen könnte man meinen, das Rahmenabkommen sei ein grosser Schritt in Richtung einer stärkeren europäischen Integration. Dabei ist das Rahmenabkommen die Kapitulation der pro-europäischen Schweiz vor Blochers Vermächtnis, der Kniefall der EU vor dem bilateralen Weg.

Das Rahmenabkommen ist die Weiterführung des bilateralen Wegs, den die Schweiz mit dem EWR-Nein eingeschlagen hat. Es garantiert der schweizerischen Wirtschaft den sicheren Zugang zum europäischen Binnenmarkt mit minimalst möglicher Teilnahme am politischen Projekt. Dabei ist es genau das politische Projekt, das die EU für Pro-Europäerinnen so erstrebenswert macht. Das Rahmenabkommen ist destillierter, schweizerischer “economy first”-Pragmatismus. Verglichen mit pro-Europäerinnen in anderen EU-Staaten haben sich die pro-Europäer in der Schweiz mit dem Rahmenabkommen den schlechtesten Deal herausgehandelt. 

Die EU sah die bilateralen Verträge lange nur als Übergangsphase. Die allmähliche Annäherung sollte früher oder später in den Beitritt münden. Mit dem Rahmenabkommen lässt sich die EU erstmals bewusst langfristig auf den bilateralen Weg ein. Sie akzeptiert, dass sie ein Land in ihrem geografischen Zentrum nicht von sich überzeugen konnte.

Ein politisches Spektrum

So wie die Parteien über das Rahmenabkommen sprechen, erhält man den Eindruck, dass es innenpolitisch kaum Chancen hat. Wer sich gegen das Abkommen ausspricht, gibt inhaltliche Gründe an. Parteien positionieren sich aber immer auch im Verhältnis zu den Positionen anderer Parteien. Selbst wenn die SVP einen politischen Vorschlag macht, mit dem die SP inhaltlich einverstanden ist, wird die SP einen Punkt betonen, der ihr nicht passt oder an dem der Vorschlag nicht weit genug geht. So läuft das politische Spiel, Parteien müssen sich profilieren. 

Auf diesem politischen Spielfeld liegt der grosse Nachteil des Rahmenabkommens. Es fehlt die pro-europäische Kritik an ihm. Es gibt keine pro-europäische Gegnerinnen des Rahmenabkommens. Weil die pro-europäische Kritik fehlt, steht das Rahmenabkommen ganz am pro-europäischen Extrem des politischen Meinungsspektrums. Am anderen Ende steht die isolationistische SVP. 

Das Spektrum der europapolitischen Diskussion in der Schweiz.

Die schweizerischen Mitte-Parteien vertreten nicht gerne Positionen, die am extremen Ende des politischen Spektrums wahrgenommen werden. Schon gar nicht in der Europa-Debatte. Für sie ist es attraktiv, sich irgendwo zwischen der SVP und dem anderen Extrem zu positionieren – in diesem Fall dem Rahmenabkommen. Natürlich könnten sich die Mitteparteien zusammenraufen und sich pragmatisch hinter das Rahmenabkommen stellen. Aber die Anreize zur Partei-Profilierung sind in einem polarisierten Umfeld anders gesetzt.

Pro-europäische Kritik

Dabei gäbe es genügend Gründe für eine pro-europäische Kritik am Rahmenabkommen. Die Souveränitätsfrage ist das Kernproblem in der schweizerischen Europapolitik: Die Schweizer Bevölkerung übernimmt Regulierungen, die sie nicht mitbestimmt hat. Das ist heute so und das wird mit dem Rahmenabkommen so bleiben. Die Diskussion in der Schweiz problematisiert den ersten Teil der Gleichung, nämlich den Fakt, dass die Schweiz Regulierungen übernimmt. Dabei ist klar: Wer am Binnenmarkt teilnehmen will, muss sich an die Regeln halten. Viel auszuhandeln gibt es angesichts der Machtverhältnisse zwischen der Schweiz und der EU nicht. Das merkt sogar Grossbritannien.

Eine pro-europäische Kritik würde am zweiten Teil der Gleichung ansetzen, also am Fakt, dass die Schweizer Bevölkerung nicht mitbestimmen kann. Der pro-europäische Teil der SP und die GLP wären Kandidatinnen, um diese Kritik aufzunehmen. Die SP, weil sie den EU-Beitritt im Parteiprogramm hat. Die GLP, weil sie “mehr Europa wagen” will. Sie illustriert ihre Europapolitik sogar mit einem Herz, in dem die schweizerische und die europäische Flagge vereint sind. Die GLP müsste ihren Mut in der politischen Kommunikation nur noch durch politischen Inhalt stützen. 

Abwarten

Jetzt ist nicht der Zeitpunkt für waghalsige Positionierungsmanöver. Aber falls das Rahmenabkommen in den nächsten Wochen nicht vorwärts kommt oder sogar scheitert, sollte diese Strategie aus der Schublade geholt werden. 

Die pro-europäische Kritik würde nicht nur die Souveränitätsdiskussion auf eine sinnvollere Ebene bringen. Sie würde das politische Spielfeld in der Europa-Debatte wieder öffnen. Für die konservativen Mitteparteien CVP und FDP wäre es einfacher, sich wieder für das Rahmenabkommen einzusetzen als pragmatischen Kompromiss zwischen der SVP und Pro-Europäerinnen.