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Migration und Rechtsstaat Schweiz

Alessandro Panza: Der kuriose Fall des migrationsfreundlichen Migrationsgegners

Alessandro Panza setzt sich als EU-Parlamentarier für italienische Grenzgänger in der Schweiz ein. Hauptberuflich ist er Salvini-Fan und Migrationsgegner. Wie geht das zusammen?

Alessandro Panza: Der migrationsfreundliche Migrationsgegner.

“#iostoconSalvini”, lese ich bei fast jeder zweiten Äusserung Alessandro Panzas, wenn ich durch seinen Twitter-Feed scrolle. Das heisst so viel wie “ich bin mit Salvini” oder “ich gehöre zu Salvini”. Manchmal twittert er diesen Satz auch ohne eigene begleitende Worte. So sieht bedingungslose Loyalität zum Parteiführer aus. Dies ist nicht weiter verwunderlich bei einer Partei, die den Führerkult im Namen trägt. Die Partei von Salvini und Panza hatte sich vor zwei Jahren von “Lega Nord” zu “Lega” und in diesem Winter zu “Lega per Salvini Premier” umbenannt

Die Partei ist bekannt für ihre Fremdenfeindlichkeit. Als Innenminister inszenierte sich Salvini als Flüchtlingsgegner Nummer eins. 2017 forderte er, dass man Italien von illegalen Einwanderern “säubern” müsse, “Strasse für Strasse, Quartier für Quartier”.

Der Europa-Parlamentarier und treue Salvini-Anhänger Alessandro Panza schwimmt im gleichen ideologischen Fahrwasser. Seine erste Wortmeldung im EU-Parlament nutzte er im vergangenen Jahr, um gegen Organisationen zu wettern, die im Mittelmeer Menschen vor dem Ertrinken retten. 

EU-Parlamentarier aus Domodossola

Wieso interessiere ich mich für Alessandro Panza? Er ist Mitglied der EU-Parlamentsdelegation, die sich mit den Beziehungen zur Schweiz befasst. Ich will wissen, wer dieser Europaparlamentarier ist, der sich mit der Schweiz beschäftigt. Deshalb scrolle ich auf der Webseite des EU-Parlaments durch seine Diskussionsbeiträge.

Das meiste ist unspektakulär. Ins Stutzen komme ich, als ich seine letzte Wortmeldung im EU-Parlament lese. Am 18. Juni 2020 sorgt er sich nämlich um italienische Grenzgänger, die in der Schweiz arbeiten. Die EU solle sich dafür einsetzen, dass die Grenzgänger nicht durch Corona-Massnahmen benachteiligt würden, fordert er. Ein Rechtspopulist, der sich für Grenzgänger einsetzt?

Abgesehen von seiner Partei-Zugehörigkeit ist Panzas Sorge verständlich. Er kommt aus Domodossola, dem ersten italienischen Städtchen am Fusse des Simplon. Dass man sich in der Grenzregion um Grenzgänger sorgt, sollte niemanden verwundern. Auf meine schriftliche Anfrage bestätigt das Büro von Herrn Panza, dass die Angelegenheiten der italienischen Grenzgänger ihm schon immer sehr wichtig gewesen seien.

Verflixte Widersprüche

Grenzgängerinnen sind genau wie andere ausländische Arbeitnehmerinnen in Europa dank der Personenfreizügigkeit vor Diskriminierung geschützt. Wer sich für die Rechte der Grenzgängerinnen einsetzt, sollte deshalb auch die Personenfreizügigkeit unterstützen. Aber Panza ist auch ein treues Mitglied einer rechtspopulistischen Partei. Und rechtspopulistische Parteien sind vor allem für ihre Migrationskritik bekannt. Sie fordern, gegen Ausländerinnen diskriminieren zu dürfen. “Prima gli Italiani” ist der aktuelle Slogan von Matteo Salvini, “zuerst die Italiener”.

Was gilt nun für Alessandro Panza? Ist er für oder gegen die Diskriminierung von Grenzgängerinnen und Migrantinnen? Und was heisst das für die anstehende Abstimmung gegen die Personenfreizügigkeit in der Schweiz? Stellt Panza sich gegen die Kündigungsinitiative? Schliesslich zielt die Initiative unter anderem darauf ab, 76’529 italienischen Grenzgängerinnen das Recht auf Gleichbehandlung zu entziehen.

Ich frage nochmals bei Panza nach. Mehrmals. Aber die Antwort bleibt aus. Ich muss mir Panzas Position also aus seinen öffentlichen Aussagen erklären. Es gibt zwei Möglichkeiten, die ich in einem kleinen Exkurs weiter unten bespreche.

Für die eilige Leserin sei nur noch folgendes angemerkt. Die Personenfreizügigkeit schützt Migrantinnen, indem sie sie vor Diskriminierung bewahrt. Das sind per Definition alle innereuropäischen Migrantinnen, nicht nur die Italienerinnen oder nur die Schweizerinnen.

Bei der zur Abstimmung stehenden Kündigungsinitiative stehen die Rechte aller innereuropäischen Migranten auf dem Spiel. Auch meine.

Ein kleiner Exkurs zum Schluss

Davon ausgehend, dass Panzas öffentliche Äusserungen miteinander vereinbar sein sollten und angesichts dessen, dass Panza sich vor allem gegen Migration ausserhalb Europas einsetzt, gibt es zwei Möglichkeiten:

  1. Panza ist gegen Migration, ausser die Migranten sind Italiener.
  2. Panza ist gegen Migration, ausser die Migranten sind Europäer.

Nehmen wir an, Panza entscheidet sich für die erste Möglichkeit. Was ist das Problem? Die Position “Wir sind gegen Migranten, ausser wir sind die Migranten” ist eine Position ohne universellen Anspruch. Die Position macht logisch nur Sinn, wenn man annimmt, dass die eigene Nationalität anderen Nationalitäten überlegen sei. In ihrem Kern bedeutet die Position: “Wir sind für uns und gegen die anderen.” 

Das mag eine geeignete Einstellung von Fussball-Fans sein. In der Politik ist diese Haltung gefährlich. Wenn man den universellen Anspruch auswechselt für die Annahme der eigenen Überlegenheit, werden plötzlich sehr viele politische Positionen möglich. Wieso sollten wir zum Beispiel nicht etwas Territorium vom Nachbarstaat einfordern? Oder dessen natürlichen Ressourcen anzapfen?

Europa der Vaterländer

Die Annahme der eigenen nationalen Überlegenheit ist eine wichtige Argumentationsbasis für die rechtspopulistischen Parteien Europas. Selbst wenn Nationalitäten einander überlegen sein könnten, so kann nur eine Nationalität allen anderen überlegen sein. Nur eine der vielen rechtspopulistischen Parteien könnte Recht haben. 

Rechte Parteien reden gerne von einem diversen Europa der friedlich ohne EU zusammenlebenden Nationalstaaten. “Europa der Vaterländer”, nennen sie das. Ein von solchen Rechtspopulisten ohne den hemmenden Einfluss der EU regiertes Europa würde sich daran aufreiben, dass jeder meint, dem anderen überlegen zu sein. Früher oder später würde diese Überlegenheit getestet. Fussball-Fans wollen ihre Teams irgendwann gegeneinander antreten sehen. 

Ein weiteres Problem des Denkmusters “Wir sind für uns und gegen die anderen” ist die Herabsetzung der “anderen. Das Denkmuster betont das Trennende und verdeckt Gemeinsamkeiten. Wir sehen die unterschiedlichen Religionen, Kleidungsstile, Hautfarben oder Sprachen und haben kein Auge mehr für das Verbindende, zum Beispiel das Streben nach einem guten, selbstbestimmten Leben oder die Sorge um die Kinder. In der Wissenschaft wird das als “Othering” beschrieben. Je stärker dieses Denkmuster Überhand nimmt, desto einfacher lässt sich die Schikanierung der “anderen” rechtfertigen. Man sieht sich nicht mehr als Mitmenschen sondern als das zu bekämpfende “Andere”. Und wer sich nicht als Mitmenschen sieht, hat auch kein Problem, unmenschlich miteinander umzugehen.

Europäischer Nationalismus

Soviel zur Problematik von Panzas Position, falls er die erste, italo-nationalistische Position einnimmt. Nehmen wir an, Panza entscheide sich für die zweite Möglichkeit. Seine Position ist also: Wir sind gegen Migration, ausser die Migranten sind Europäer. Was wäre hier das Problem?

Natürlich ist das Problem genau das gleiche wie bei der ersten Positionsmöglichkeit. Der italienische Nationalismus wird einfach ersetzt durch einen europäischen Nationalismus.

Dennoch gibt es einen gewichtigen Unterschied zwischen den beiden Positionen.

Die erste Position wird in Europa als veralteter Nationalismus geächtet. Die zweite Position ist die aktuelle Position der politischen Führung Europas.

Die Regierenden Europas (und damit meine ich auch jene der Schweiz) bellen nicht so laut wie Salvini und Panza, aber sie sprechen die gleiche Sprache. Gerne schwärmen sie über die Errungenschaft der Personenfreizügigkeit als zentraler Pfeiler des europäischen Projekts. Im nächsten Atemzug betonen sie die Wichtigkeit, die europäischen Aussengrenzen zu schützen. Sie meinen damit nicht den Schutz vor einer feindlichen Armee. Die Gefahr, die sie meinen, sind Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben. Die Geburtslotterie hat diese Menschen auf der falschen Seite der europäischen Rhetorik auf die Welt gesetzt. Ihre Migration bedeutet Gefahr statt Errungenschaft.

In Sachen Ehrlichkeit in der Argumentation könnten sich die europäischen Regierungen diesbezüglich etwas von Alessandro Panza abschauen. Er hält sich kurz: “#iostoconSalvini”.