Kategorien
EU verstehen Klima

CRISPR im Brüsselkuchen – die Wege des Lobbyings in der EU

Das Lobbying rundum die CRISPR-Regulierung zeigt die Schwierigkeiten im Zusammenspiel zwischen Wissenschaft, Industrie und Politik. Verbindungen sind notwendig, führen aber auch zu Abhängigkeiten und Prioritätensetzungen im Sinne der Industrie und ihres Geschäftsmodells.

Die Agrarindustrie lobbyiert in der EU. Ihr Lobbying zielt darauf ab, dass die EU-Agrarpolitik weiterhin Pestizid-intensive, grossflächige Landwirtschaft bevorzugt. Aber die Agrarindustrie will nicht als Bremserin des ökologischen Wandels wahrgenommen werden, sondern verkauft sich als Teil der Lösung. Sie zählt dabei auch auf Unterstützung aus der Wissenschaft. 

Eine der Lösungen, mit der sich die Agrarindustrie als wichtiger Teil des ökologischen Wandels in der Landwirtschaft positionieren will, ist gentechnisch verändertes Saatgut. Das Saatgut von Pflanzen könne mittlerweile so gezielt verändert werden, dass die Pflanzen weniger Pestizide, Land und Wasser benötigen, so das Argument der Agrarindustrie. 

Der Fokus auf Saatgut ist auch eine wirtschaftliche Absicherung für die Agrarindustrie. So macht die Syngenta zum Beispiel 78% ihres weltweiten Umsatzes mit Pflanzenschutzmitteln. Die restlichen 22% fallen auf die Saatgutsparte aus. Wenn Vorstösse wie die Pesitizidinitiative in der Schweiz oder die “Farm to Fork” Strategie der EU den Verkauf von Pestiziden erschweren, muss dringend ein Ersatz für die entgangenen Umsätze her. Wenn gentechnisch verändertes Saatgut sich als Teil der Lösung für die Zukunft der Landwirtschaft verkaufen kann, bleiben die Syngenta und andere Agrarindustrie-Konzerne gut aufgestellt.

Die EU kennt kein Gentech-Moratorium wie die Schweiz. Dennoch unterliegt die Gentechnologie in der EU strengen Regulierungen. Die Industrie muss umfangreiche Risikoprüfungen durchführen, ein Monitoring sicherstellen und gentechnisch veränderte Lebensmittel müssen im Laden als solche gekennzeichnet sein. “Diese Hindernisse haben dazu geführt, dass gentechnisch veränderte Pflanzen in der europäischen Landwirtschaft nur sehr beschränkt und vor allem für Tierfutter statt den menschlichen Verzehr angebaut werden”, sagt Landwirtschaftsexpertin Nina Holland vom Lobby-Watchdog “Corporate Europe Observatory” (CEO).

Doch die Gentechnik hat Fortschritte gemacht. Mit der CRISPR-Cas-Methode lassen sich die Genome gezielt verändern. Forscher*innen können genau definieren, welchen Teil der DNA sie verändern wollen. Der Rest der Pflanzen-DNA bleibt unberührt. 

Weil die CRISPR-Cas-Methode gezielter und kontrollierter ist als die bisherige Gentechnik, sollte die bisherige restriktive Gentechnik-Regulierung sie nicht betreffen, argumentiert die Agrarindustrie. Doch der europäische Gerichtshof ist anderer Meinung: 2018 urteilte er, dass es sich bei CRISPR-Cas um Gentechnologie handle und dass die Methode deshalb den gleichen Regulierungen wie die klassische Gentechnologie unterliege.

Seit diesem Urteil erlebt die EU-Agrarpolitik eine bemerkenswerte Lobbyingkampagne. Der Lobby-Watchdog CEO deckte in einem Bericht vom März 2021 auf, wie die Industrie versucht, europäische und nationale Behörden von einer weniger strikten Regulierung der CRISPR-Cas-Methode zu überzeugen. Es zeigt ein verwirrendes Geflecht von Lobbyingmassnahmen, Organisationen und Personen.

Eine spezielle Rolle spielt dabei die Wissenschaft. So formierte sich nach dem Urteil von 2018 ein Netzwerk von Wissenschaftler*innen unter dem Namen EU-SAGE (Sustainable Agriculture through Genome Editing = Nachhaltige Landwirtschaft durch Genom-Veränderung). EU-SAGE schrieb mehrere Briefe an die EU-Kommission, in denen es das Potenzial der CRISPR-Cas-Methode betont.

Aber EU-SAGE schreibt nicht nur Briefe. Für den Brüsseler Thinktank Re-imagine Europa initiierte EU-SAGE gemeinsam mit der “All European Academies” (ALLEA) die Arbeitsgruppe “Nachhaltige Landwirtschaft und Innovation” mit einer Finanzierung der Bill und Melinda Gates Stiftung.

Die Verflechtungen zwischen Industrie, Wissenschaft und Thinktanks am Beispiel der Taskforce “Sustainable Agriculture and Innovation”. Quelle: Selbstgebastelt.

Zuerst zu Re-imagine Europa: Die Denkfabrik hat laut Selbstbeschreibung auf der Webseite zum Ziel, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Politik einzubringen und “geteilte Narrative” zu bauen. Hierfür hat der Thinktank sogar einen “Chief Narrative Scientist” eingestellt. 

Der Thinktank verschreibt sich drei grossen Themen: Demokratie, Wirtschaft und Planet. Man könnte meinen, das Thema “Planet” gäbe Platz für verschiedene Themen. Doch die Publikationen zu diesem Thema handeln bisher ausschliesslich vom Potenzial einer weniger strengen Regulierung für CRISPR-Cas in der Landwirtschaft. Auf Anfrage begründet Re-imagine Europa diesen Fokus damit, dass die CRISPR-Cas-Regulierung ein aktuelles Thema sei. 

Die Arbeitsgruppe soll einen Bericht erstellen, an dem sich die EU-Kommission orientieren kann, wenn sie die Regulierung zur Gentechnologie überarbeitet. Im Steuerungskomitee der Arbeitsgruppe “Nachhaltige Landwirtschaft und Innovation” sitzen der Generalsekretär der europäischen Saatgut-Lobby Euroseeds, dem Branchenverband der Syngenta, und der Generalsekretär der Landwirtschaftslobby COPA-COGECA, aber keine NGO-Vertreter*innen. 

Die neben EU-SAGE andere Mit-Initiantin der Arbeitsgruppe “Nachhaltige Landwirtschaft und Innovation” ist ALLEA, ein europäischer Dachverband nationaler Akademie-Dachverbände. Die Akademie der Wissenschaften Schweiz ist Mitglied der ALLEA. Und der ehemalige Vorsitzende der Schweizer Akademie ist seit 2018 Präsident der ALLEA. Es ist Antonio Loprieno, Rektor der Universität Basel von 2005-2015. Antonio Loprieno sitzt auch im Beirat von Re-imagine Europa.

Loprieno erklärt, wie es zur Zusammenarbeit kam. Die königliche flämische Akademie Belgiens – ein ALLEA-Mitglied – wollte sich mit der CRISPR-Regulierung auseinandersetzen. Gleichzeitig suchte Re-imagine Europa wissenschaftliche Unterstützung in diesem Thema und hatte dank der Bill und Melinda Gates Stiftung die notwendige Finanzierung. Deshalb gründete man eine gemeinsame Arbeitsgruppe zu Genome Editing.

Auf die Frage, ob sich die Wissenschaft von der Industrie instrumentalisieren lasse, antwortet Loprieno: “Wir können nicht den wissenschaftlichen Konsens ändern, nur weil die Industrie auch damit einverstanden ist.”

Die Wissenschaft bringt sich aktiv in die politische Diskussion ein. Oft wird genau das vermisst, zum Beispiel bei der Pandemiebekämpfung oder in Klima-Themen. Wo liegt also das Problem? 

Die Verfasserin des CEO-Berichts Nina Holland sagt, die Agrarindustrie fördere jene Stimmen in der Wissenschaft, die von einer Deregulierung der Gentechnik profitieren würden. Institute, die zu Biotechnologie forschen, seien auf Drittmittel aus der Industrie angewiesen und profitierten auch von Einnahmen, wenn sie ein Patent an eine Firma lizenzieren können. Eine möglichst schwache Regulierung sei also im Interesse dieser Wissenschaftler*innen.

Ein Blick auf die Mitgliederliste von EU-SAGE und der Arbeitsgruppe “Nachhaltige Landwirtschaft und Innovation” zeigt denn auch viele Wissenschaftler*innen aus der Molekularbiologie, der Genetik und der Pflanzenforschung. Ein Name fällt besonders auf: Dirk Inzé, wissenschaftlicher Direktor des Zentrums für die Biologie von Pflanzensystemen am Flämischen Institut für Biotechnologie (VIB). Er ist der Initiator und Direktor von EU-SAGE, sitzt im Steuerungskomitee der Arbeitsgruppe “Nachhaltige Landwirtschaft und Innovation” bei Re-imagine Europa, und ist Co-Autor eines Berichts der ALLEA zur Regulierung von CRISPR-Cas in Europa.

Inzés Zentrum für die Biologie von Pflanzensystemen am VIB bewirbt sich als Europas grösster Campus für die Biotechnologie von Pflanzen. Auf dem Campus befinden sich auch Niederlassungen der Agrar-Riesen BASF und Syngenta. Das Zentrum versteckt seine Nähe zur Industrie nicht. 

Inzé begründet seinen Einsatz für eine weniger strikte Regulierung der CRISPR-Cas-Methode mit dem riesigen Potenzial, das er in ihr sieht. Die aktuelle Regulierung mache Feldversuche extrem schwierig, was die Wissenschaft bremse. Mit CRISPR-Cas könnten viel mehr verschiedene Sorten entwickelt werden. Das sei positiv für die Biodiversität und für die Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel. Inzé will, dass der wissenschaftliche Fortschritt seinen Weg in die Gesellschaft findet.

Das VIB, zu dem Inzés Zentrum gehört, setzt darauf, Einkommen aus der Patentierung ihrer Erfindungen zu generieren. “Dank den Rechten an intellektuellem Eigentum können Forschungs- und Zusammenarbeitsabkommen mit Unternehmen abgeschlossen werden”, schreibt das VIB auf seiner Webseite. Und weiter: “Die Lizenzierung von intellektuellem Eigentum kann auch industrielles Einkommen generieren.” 

Würde Dirk Inzés Zentrum also von einer Deregulierung von CRISPR-Cas finanziell profitieren? “Vielleicht in der Zukunft”, sagt Inzé, “aktuell verdienen wir nicht an solchen Patenten.” Und wenn sein Zentrum profitieren würde, dann sei es eher durch Spin-offs, die eine im Zentrum entwickelte Innovation kommerzialisieren.

Es ist verständlich, dass ein öffentliches Forschungsinstitut an den finanziellen Erträgen seiner Forschungsarbeit teilhaben will. Doch schaffen solche Erträge auch Abhängigkeiten. Dirk Inzé betont aber, dass er sich in politischen Themen nicht mit der Industrie abspreche.

Abhängigkeiten hin oder her: Man sollte Wissenschaftler*innen zuhören, wenn sie sich zu Themen äussern, in denen sie sich auskennen. Und der überwiegende wissenschaftliche Konsens sagt, dass CRISPR-Cas keine unmittelbare Gefahr für Mensch und Umwelt darstellt. “Die durch CRISPR-Cas erreichten Änderungen im Genom der Pflanze sind viel gezielter und kontrollierter als natürliche Mutationen, die in jeder Pflanze auftreten”, sagt ein Schweizer Molekularbiologe auf Anfrage.

Auch ETH-Professor für Agrarökologie Christian Schöb sagt, Gentechnik durch CRISPR biete gute Chancen für die Landwirtschaft. Ein mögliches Problem sieht er mit Machtgefällen zwischen den grossen Playern der Agrarindustrie und den Bauern. Eine Gefahr der Gentechnik besteht darin, dass die Grossunternehmen ihre Monopolstellung weiter ausbauen.

Das Problem liegt also nicht in der Technologie, sondern im wirtschaftlichen und rechtlichen Umfeld, in dem sie zum Einsatz kommt. Der Saatgutmarkt wird von vier grossen Herstellerinnen beherrscht: Bayer-Monsanto, DowDuPont/Corteva, ChemChina-Syngenta und BASF. Diese Firmen sind alle auch aktiv im Pestizidmarkt. Sie sagen zwar, dass CRISPR-Cas es erlauben würde, Saatgut zu entwickeln, das weniger Pestizide benötigt. Aber würden sie ihre eigenen Pestizidverkäufe in Gefahr bringen wollen, wenn sie nicht unbedingt müssen?

Dirk Inzé geht davon aus, dass CRISPR-Cas die Schwelle zur Entwicklung von neuem Saatgut so weit senkt, dass auch kleinere Firmen die Dominanz der grossen Konzerne brechen können. “Sobald einige Sorten auf dem Markt sind, die weniger Pestizide benötigen, werden auch die grossen Konzerne nachziehen müssen”, vermutet er.

CEO-Landwirtschaftsexpertin Nina Holland kritisiert, dass CRISPR das eigentliche Problem nicht löst: Die Industrialisierung und Intensivierung der Landwirtschaft. “CRISPR-Cas erlaubt der Agrarindustrie, ihr umweltschädliches Geschäftsmodell in die Zukunft zu retten.”

ETH-Agrarökologe Christian Schöb meint, man könne nicht nur auf die Gentechnik setzen, um die Landwirtschaft in eine nachhaltige Zukunft zu führen. Stattdessen solle man auch andere innovative Ansätze verfolgen. Zum Beispiel müsse die Landwirtschaft von der Monokultur wegkommen. Wenn im gleichen Feld verschiedene Kulturen angebaut werden, können diese sich gegenseitig unterstützen. “Experimente haben gezeigt, dass Mischkulturen bis zu 30% mehr Ertrag bringen als klassische Monokulturen und dabei viel weniger Dünger und Pestizide benötigen.”

Das Lobbying rundum die CRISPR-Regulierung zeigt die Schwierigkeiten im Zusammenspiel zwischen Wissenschaft, Industrie und Politik. Wenn die Wissenschaft nicht in einem Vakuum stattfinden soll, braucht sie Verbindungen zur Industrie. Diese Verbindungen führen aber auch zu Abhängigkeiten und Prioritätensetzungen im Sinne der Industrie und ihres Geschäftsmodells. 

Die Bemühungen für eine gelockerte CRISPR-Regulierung scheinen Früchte zu tragen. Am 29. April veröffentlichte die EU-Kommission eine Studie zu Genome Editing. Sie kommt zum Schluss, dass die aktuellen Regulierungen nicht zukunftsfähig seien. Die Kommission startet deshalb einen Konsultationsprozess, um die Regulierung zu überarbeiten. 

Es ist ein erster Erfolg für Industrie und Wissenschaft. Ob es auch zu einem Erfolg für Umwelt und Biodiversität wird, ist eine andere Frage. Ihre Antwort hängt davon ab, ob Syngenta und co. die Innovation nutzen, um ihr Geschäftsmodell zu überdenken oder um ihre Machtposition auszubauen.