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Europa in der Welt

Biden lässt Europa aufatmen

Joe Bidens Sieg ist eine kurzfristige Erleichterung für die europäische Sicherheit. Die Knappheit des Siegs wird die europäische Klimapolitik zusätzlich herausfordern.

Was bedeutet Bidens Sieg für Europa?

Biden gewinnt die US-Präsidentschaftswahlen knapp. Momentan sieht es so aus, als verfehle er mit seinen Demokraten die Mehrheit im Senat. Aufgrund der eingeschränkten Kompetenzen des US-Präsidialamts hat das Resultat je nach Politikbereich unterschiedliche Auswirkungen. Als Beispiel dafür dienen die Sicherheits- und Klimapolitik. Unter der Annahme, dass der Machtwechsel ohne geopolitische Turbulenzen ablaufen wird: Was bedeutet der Biden-Sieg ohne Senatsmehrheit für Europa in diesen Politik-Bereichen?

Zuerst: Durchatmen.

Der US-Präsident hat vor allem aussen- und verteidigungspolitische Kompetenzen. Biden ist als Transatlantiker bekannt. Er wird sich für eine Verbesserung der Beziehungen mit Europa einsetzen. Zudem hat die NATO-Sicherheitsgarantie der USA unter Biden eine höhere Glaubwürdigkeit als unter dem erratisch wirkenden Trump.

Dann: Europäische Verteidigungsautonomie ausbauen.

Bidens Sieg ist knapp. Trumps Politik wurde nicht demütigend geschlagen. In vier Jahren kann Fortuna die Geschicke ohne Weiteres wieder in die andere Richtung lenken. Dann muss Europa bereit sein. Die vier kommenden Jahre sollte Europa dazu nutzen, seine Autonomie in der Verteidigungspolitik auszubauen. Erstens, weil es gut möglich ist, dass der US-gestützte NATO-Sicherheitsschirm über Europa in vier Jahren nicht mehr besteht. Zweitens, weil es das falsche Zeichen an die US-Politik senden würde, wenn Europa sich bei freundlich gesinnten US-Präsidenten zurücklehnt und es sich in der US-Sicherheitsgarantie bequem macht.

Was heisst das?

Der Begriff der europäischen Autonomie wird in verschiedenen Bereichen und teilweise ungenau verwendet. In der Verteidigungspolitik bedeutet sie, dass Europa einen grösseren Teil seiner eigenen Verteidigung selber stemmt als bisher. Das heisst nicht, dass die NATO abgeschrieben werden soll, aber die europäische Verteidigung muss langfristig auch gewährleistet sein, wenn die NATO an Kraft und Bedeutung verliert.

Bei anderen Themen: Schwierige Zeiten.

Der US-Senat liegt unter der Führung des Meister-Blockierers Mitch McConnell wahrscheinlich weiterhin in republikanischer Hand (ausser den Demokraten gelingt in Georgia noch eine Überraschung). Wenn McConnells bisheriges Verhalten als Mehrheitsführer im Senat ein Indiz ist für sein zukünftiges Wirken, dann ist davon auszugehen, dass in den USA in den kommenden zwei Jahren kein relevantes Gesetz verabschiedet wird. Aufgrund seiner begrenzten innenpolitischen Macht kann US-Präsident Biden nur marginal auf die Innenpolitik einwirken. Ein Grossteil seines Wahlprogramms wird voraussichtlich nicht umgesetzt.

Klima bleibt auf den Schultern Europas

Die weitere Lähmung der US-Innenpolitik heisst für Europa, dass aus den USA keine gesetzgeberischen Impulse für eine ambitionierte Klimaschutzpolitik zu erwarten sind. Biden kann zwar aussenpolitisch für eine bessere Klimapolitik werben, aber die innenpolitische Lähmung wird diese Strategie vor Glaubwürdigkeitsprobleme stellen.

Umso mehr Druck lastet auf der Klimapolitik Europas – dem European Green Deal. Europa sollte sich in der Klimapolitik vermehrt auf Massnahmen konzentrieren, die über die europäischen Grenzen hinaus einen positiven Effekt haben. Mit einer CO2-Steuer für importierte Produkte kann die EU zum Beispiel einen Teil der Umweltbelastung im Ausland verteuern. Ein starker Fokus auf Forschung und Förderung klimafreundlicher Technologien könnte verschmutzende Technologien weltweit unkompetitiv machen. Klimafreundliche Technologien würden dann weltweit aus purem Eigennutz verwendet – blockierter US-Senat hin oder her.

Der Wahlentscheid lässt Europa aufatmen. Dank Trumps Abwahl hat Europa mit einem Unsicherheitsfaktor weniger zu kämpfen. Mittel- bis langfristig ist aber noch nichts gewonnen.