Am Dienstag, 15. Dezember, stellten Kommissions-Vizepräsidentin Margrethe Vestager und Kommissar Thierry Breton den Entwurf zum Digital Services Act (DSA) und den Entwurf zum Digital Markets Act (DMA) vor. Diese beiden Regulierungen wurden lange erwartet. Viele erhoffen sich den grossen digitalen Wurf der EU. Dieser Beitrag bietet eine Übersicht über folgende Fragen:
- Weshalb will die EU digitale Dienstleistungen und Märkte regulieren?
- Was steht im Digital Services Act (DSA)?
- Was steht im Digital Markets Act (DMA)?
- Was bedeuten die Regulierungen für die Schweiz?
- Wie geht es weiter?
Weshalb will die EU digitale Dienstleistungen und Märkte regulieren?
Die EU ist unzufrieden mit dem Zustand des digitalen Markts heute.
Der lukrative Plattform-Markt wird dominiert von einigen wenigen Grossunternehmen. Der Wettbewerb ist aufgrund ihrer Dominanz stark eingeschränkt. Die bisherigen wettbewerbs- und steuerrechtlichen Entscheidungen der EU-Kommission gegen die grossen Internet-Konzerne waren zwar publikumswirksam, konnten den Markt aber noch nicht wesentlich kompetitiver machen.
Dazu kommt, dass keines der ganz grossen Unternehmen europäisch ist. Und Steuern zahlen sie trotz riesiger Umsätze ebenfalls nicht viel. Auch die sozialen Medien stehen in der Kritik. Sie spielen eine Rolle bei der Verbreitung von Desinformation und Verschwörungstheorien, übervorteilen populistische Politikerinnen, beschleunigen den Niedergang des Journalismus, machen süchtig, werden intransparent moderiert, um nur ein paar wenige Nebenwirkungen aufzulisten.
Das Ziel der EU-Kommission ist, den europäischen Markt kompetitiver zu machen und die Voraussetzungen für europäische Firmen zu verbessern. Zudem will sie grosse Plattformen stärker in die Pflicht nehmen. Sie sollen für die Konsequenzen ihrer Dienstleistungen verantwortlich gemacht werden.
Was steht im Digital Services Act (DSA)?
Der DSA ist der Versuch, Ordnung in die anarchische Welt der digitalen Dienstleistungen zu bringen. Die EU-Kommission will damit nicht nur neue Regeln in die digitale Welt einführen, sondern sicherstellen, dass sich die digitale Welt überhaupt an Regeln hält. So bestimmt der DSA zum Beispiel nicht, welche Inhalte Plattformen und andere Internet-Dienstleister anzeigen dürfen. Stattdessen zwingt der DSA ihnen einen Moderationsprozess auf. Dieser soll sicherstellen, dass Internet-Dienstleister gegen illegale Inhalte vorgehen.
Der DSA unterscheidet vier Kategorien von digitalen Dienstleistern, für die je graduell schärfere Bestimmungen gelten sollen. Angefangen mit der am wenigsten scharf regulierten Kategorie sind das: Vermittler von Netzwerkinfrastruktur, Hosting-Dienstleister, online Plattformen und sehr grosse online Plattformen. Die Definitionen können hier nachgeschlagen werden. Ich werde mich auf die wichtigsten beiden Kategorien konzentrieren: Jene der online Plattformen, welche Käufer und Verkäuferinnen zusammenbringen, und jene der sehr grossen online Plattformen, welche dasselbe sind, aber mindestens 45 Millionen Nutzerinnen (10% der EU-Bevölkerung) in der EU haben.
Für alle vier Kategorien soll laut DSA-Entwurf gelten, dass sie illegale Inhalte löschen müssen, wenn sie darauf aufmerksam gemacht werden. Wichtig ist die Nuance, dass sie nicht verpflichtet sind, selber nach illegalen Inhalten zu suchen. Ebenfalls für alle Kategorien gilt, dass sie eine Kontaktstelle für Behörden sowie eine gesetzliche Vertreterin in der EU ernennen müssen, auch wenn die Dienstleisterin nicht in der EU domiziliert ist. Zudem müssen alle regelmässig transparent aufzeigen, ob, wie und wie oft sie Inhalte moderiert haben.
Hosting-Dienstleister und Plattformen müssen Nutzerinnen die Möglichkeit geben, illegale Inhalte zu melden. Falls die Dienstleisterin entscheidet, einen Inhalt zu löschen, muss sie dies offenlegen und begründen.
Ab der Kategorie Plattform muss die Dienstleisterin auch ein einfaches internes Beschwerdemanagement-System vorweisen, durch welches Nutzerinnen gratis Beschwerde einreichen können. Zudem müssen Plattformen Zugang zu einer unabhängigen Streitschlichtungsinstanz bieten, damit Nutzerinnen sich gegen ungerechtfertigte Löschungen wehren können.
Zeit für ein Beispiel.
Dafür herhalten muss ricardo.ch, eine Plattform, auf der sich Verkäuferinnen und Käuferinnen diverser Artikel treffen. Sie hat meines Wissens nicht 45 Millionen Nutzerinnen, weshalb sie nicht zur Kategorie der “sehr grossen Plattformen” gehört.
Nehmen wir an, ich wollte auf Ricardo mein kleines Apfelbäumchen verkaufen, weil ich ihm nicht die Liebe und Aufmerksamkeit schenken kann, die es verdient. Also stelle ich es auf Ricardo. So weit so normal.
Ein verbissener Drogen-Gegner stolpert über meine Anzeige und verwechselt das zarte Obstgewächs mit einer teuflischen Hanfpflanze. Ein eindeutiger Fall eines illegalen Inhalts, denkt sich der besorgte Hobby-Polizist. Dank dem DSA muss Ricardo ihm die Möglichkeit geben, den Inhalt mit wenigen Mausklicks zu melden.
Ricardo kann sich nun entscheiden, meine Anzeige zu löschen, muss die Entscheidung aber begründen (ebenfalls dank dem DSA). Wenn ich mit dieser Entscheidung nicht einverstanden bin, muss Ricardo mir dank dem DSA die Möglichkeit geben, Einspruch zu erheben und sogar Zugang zu einer online Schlichtungsinstanz gewähren.
Wahrscheinlich würde ich das nicht machen, aber man stelle sich vor, der Verkauf von Apfelbäumchen über Ricardo wäre meine Haupteinnahmequelle. In diesem Fall schützt der Zugang zu einer Schlichtungsinstanz mich vor willkürlichen Entscheidungen der Plattform-Betreiberin.
Zurück in die trockene Abstraktion
Der DSA regelt auch Werbungen auf Plattformen. Sie müssen ihren Nutzerinnen jederzeit sagen können, wer hinter der Werbung steht und aufgrund welcher Kriterien, sie ihnen angezeigt wird.
Viel weiter gehen die Bestimmungen im DSA für “sehr grosse Plattformen”. Sie brauchen spezielle Compliance Verantwortliche, müssen mehr offenlegen und müssen sich regelmässig unabhängigen Prüfungen unterziehen.
Besonders interessant sind die Bestimmungen zu den “Empfehlungssystemen” der Plattformen – besser bekannt als Recommender Systems. Plattformen müssen transparent aufzeigen, aufgrund welcher Kriterien sie ihren Nutzerinnen welche Inhalte anzeigen. Wieso verbreitet Facebook Nachrichten von rechten Politikerinnen stärker als von gemässigten Politikerinnen? Wieso gehen Verschwörungstheorien viral? Es gibt heute schon Erklärungsansätze dafür, aber Plattformen verstecken sich gerne hinter der Begründung, dass man sich nicht einmischen wolle in die freie Meinungsäusserung und berufen sich auf ihr Geschäftsgeheimnis. Nun müssen Plattformen aufzeigen, wie sie Empfehlungssysteme und Algorithmen gestalten und somit zugeben, dass sie durch ihre Algorithmen Moderationsentscheidungen treffen.
Zu guter Letzt bietet der DSA auch Sanktionsmöglichkeiten. Wenn die Dienstleister sich nicht an die Regeln des DSA halten, müssen sie mit einer Busse von bis zu 6% ihres globalen Umsatzes rechnen. Das wären bei Facebook mit einem globalen Umsatz von 70 Milliarden USD (2019), maximal 4.2 Milliarden Dollar.
Wer sich noch genauer zum DSA informieren will, kann hier die Zusammenfassung der EU-Kommission lesen oder hier den ganzen, 112-seitigen Text des Vorschlags.
Was steht im Digital Markets Act (DMA)?
Während der DSA verschiedene Dienstleisterinnen betrifft, konzentriert sich der DMA auf ein paar wenige grosse Akteure: die Gatekeeper. Gatekeeper sind grosse online Plattformen,
- die einen grossen Einfluss auf den Binnenmarkt haben,
- die viele Nutzerinnen mit vielen Anbieterinnen verbinden,
- und die sich eine grosse Marktmacht gesichert haben oder bald sichern werden.
Auf Basis dieser Kriterien kann die EU-Kommission Gatekeeper definieren, die sich an die Regeln des DMA halten müssen. Der in die Zukunft schauende Teil der Gatekeeper-Definition (oben fett gedruckt) erlaubt es der EU-Kommission, präventiv einzugreifen.
Die Regeln des DMA zielen darauf ab, die Macht der Plattform-Betreiber einzuschränken, damit ein fairer Wettbewerb möglich wird. Das sind einige dieser Regeln:
- Gatekeeper sollen ihren Nutzerinnen den Zugang zu Daten geben, die durch sie generiert wird. Amazon muss alle Daten zugänglich machen, die es über meinen florierenden Apfelbäumchen-Handel sammelt.
- Gatekeeper müssen ihre Plattformen so gestalten, dass sie für Drittanbieter interoperabel sind. Plattformen ziehen einen Grossteil ihrer Marktmacht aus dem Umstand, dass sie viele Nutzerinnen und Anbieterinnen haben. Kleine Plattformen können nicht konkurrieren, weil sie sich diese Nutzerinnen-Basis nur schwer aufbauen können. Der DMA verlangt von den Gatekeepern, dass sie ihre Plattformen für andere Plattformen öffnen (interoperabel machen) und somit ihre Nutzerinnen-Basis für den Wettbewerb zugänglich machen. Diese Bestimmung sollte die Markteintrittshürde für viele neue Akteure senken.
- Gatekeeper dürfen ihre Nutzerinnen nicht davon abhalten, ein Geschäft ausserhalb der Plattform zu anderen Konditionen abzuschliessen. Ein Beispiel dafür ist booking.com, das den Hotels auf ihrer Plattform verbietet, über andere Kanäle billigere Angebote zu machen. Dieses Verbot wäre dank DMA nicht mehr möglich.
- Gatekeeper müssen den Nutzerinnen, die auf ihren Plattformen Werbung schalten, die Möglichkeit geben, den Nutzen und die Wirkung selbst zu überprüfen. Das trifft zum Beispiel Facebook. Facebook stand in der Kritik, die Werbestatistiken seien nicht aussagekräftig oder sogar falsch.
- Gatekeeper dürfen ihre eigenen Produkte nicht bevorzugen, wenn sie auf ihrer Plattform ebenfalls als Anbieter auftreten. Diese Regel trifft zum Beispiel Amazon und Google, die in den Suchresultaten oft ihre eigenen Produkte zuoberst platzieren und so ihre Machtposition ausnutzen.
- Gatekeeper dürfen – wenn sie selbst als Anbieter auf der Plattform auftreten – keine Daten nutzen, die nicht öffentlich verfügbar sind. Amazon weiss als Plattform zum Beispiel fast alles über die Zahlungsbereitschaft und Präferenzen der Käufer von Apfelbäumchenpflegezubehör. Diese Daten darf Amazon laut DMA nicht mehr nutzen, um eigenes Apfelbäumchenpflegezubehör anzubieten. Amazon darf zwar weiterhin eigene Produkte auf der Plattform anbieten, muss diesen Unternehmensteil aber hermetisch vom Plattform-Teil des Unternehmens abschotten.
Weitere Bestimmungen kann man hier oder hier nachlesen.
Die Regeln sollen garantieren, dass die Plattform-Betreiber Wettbewerb zulassen. Das widerspiegelt die Frustration der EU-Kommission mit ihrem bisherigen wettbewerbsrechtlichen Werkzeugkoffer. Die wettbewerbsrechtlichen Untersuchungen und Prozesse dauern oft sehr lange. Während dieser Zeit können Gatekeeper ihre Machtposition ungehindert ausbauen. An der Pressekonferenz vom 15. Dezember zeigte sich vor allem der Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton erfreut darüber, dass mit dem DMA ein Werkzeug zur Verfügung stehen wird, mit dem die Kommission den Wettbewerb “ex ante” erzwingen kann.
Die Sanktionsmassnahmen im DMA sind etwas härter als im DSA. Bei Verfehlungen kann die EU-Kommission die Gatekeeper mit bis zu 10% ihres globalen Umsatzes büssen. Wenn die Verfehlungen systematisch vorkommen, kann die EU-Kommission die Konzerne sogar aufbrechen. Das hiesse zum Beispiel, dass Facebook Instagram und Whatsapp wieder verkaufen müsste.
Was bedeuten die Regulierungen für die Schweiz?
Schweizerische Unternehmen, die im europäischen Digitalmarkt tätig sein wollen, werden sich an die Regulierungen der EU halten müssen.
Momentan gibt es keine schweizerischen Plattformen, die 45 Millionen oder mehr Nutzerinnen aus der EU haben. Auch Gatekeeper nach Definition des DMA sucht man in der Schweiz deshalb momentan vergeblich.
Aber mittelgrosse Plattformen wie zum Beispiel Job-Vermittlungsseiten, Immobilien-Plattformen oder Marktplätze wie Ricardo werden sich an die neuen Regeln des DSA halten müssen. Denn sie können kaum ausschliessen, dass ihre Dienstleistungen auch von Nutzerinnen und Nutzer in der EU genutzt werden.
Der DSA wird für schweizer Nutzerinnen der Plattformen dieselbe Wirkung haben wie für EU-Bürgerinnen. Denn die Social Media Plattformen werden ihre Anpassungen an die europäischen Regulierungen wahrscheinlich für ihre ganze Plattform ausweiten. Weshalb das der Fall ist, kannst du in diesem Beitrag nachlesen.
Dasselbe gilt für schweizerische Unternehmen, die Gatekeeper-Plattformen benutzen. Gatekeeper werden die Änderungen des DMA nicht nur für die EU anwenden können. Das heisst, schweizerische Unternehmen werden ebenfalls von einem verbesserten Wettbewerb auf Gatekeeper-Plattformen profitieren.
Wie geht es weiter?
Bevor der DSA und der DMA zu gültigen EU-Regulierungen werden, braucht es die Zustimmung des EU-Parlaments und des EU-Rats. Beide Institutionen werden die Regulierungen jedoch nicht einfach durchwinken. Stattdessen werden sie nun je ihre Änderungsvorschläge anbringen. Dann geht es in den sogenannten Trilog. Dort versuchen Vertreterinnen der Kommission, des Rats und des Parlaments sich auf eine gemeinsame Fassung zu einigen. Wenn das gelingt, verabschieden Parlament und Rat die Regulierung. Die Regulierung würde sechs Monate später in Kraft treten.
Zudem werden die Technologie-Firmen versuchen, ein Wörtchen mitzureden. Sie investieren aktuell stark in ihre Lobby-Präsenz in Brüssel, wie dieser Bericht verdeutlicht.
Da der DSA und der DMA den Status einer Regulierung haben, sind sie direkt anwendbar. Sie müssen also nicht zuerst noch in nationale Gesetze umgegossen werden, um ihre Wirkung zu entfalten. Der ganze Prozess bis die Regulierungen beschlossen und wirksam sind, dürfte sich aber bis ins Jahr 2022 hineinziehen.
In der Zwischenzeit halte ich dich mit dem Hauptstadt-Bericht auf dem Laufenden.
Das sagt die Schweiz zu den EU-Vorschlägen zur Regulierung des digitalen Markts
Grüne, SVP und SP reagieren auf die Vorschläge der EU-Kommission zum Digital Services Act und zum Digital Markets Act. Hier weiterlesen.