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Der Gantner-Check

Eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der neuen Opposition zum Rahmenabkommen.

Fredy Gantner, ein Private Equity Milliardär aus dem Kanton Zug, war in den vergangenen Tagen kaum zu überlesen in den schweizerischen Medien. Gemeinsam mit anderen wohlhabenden Männern macht er mobil gegen das Rahmenabkommen. Wieviel Geld er dabei in die Hand nehmen würde? “Whatever it takes”, sagt der Milliardär im Interview mit der NZZ am Sonntag.

Geld kann ich leider nicht bieten, deshalb versuche ich es mit Argumenten. Hier einige von Fredy Gantners Aussagen aus einem Interview im Tagesanzeiger im Gantner-Check:

FG: Wir unterscheiden uns deutlich von der SVP, denn wir unterstützen die Bilateralen und repräsentieren eine weltoffene Schweiz, die enge Beziehungen mit der EU pflegen will, aber auf Augenhöhe.

Wer mit der EU verhandelt, verhandelt mit der konsolidierten Position von 27 Mitgliedstaaten. Wer “auf Augenhöhe” mit der EU sein will, verlangt eigentlich, dass alle Mitgliedstaaten nur auf 1/27 der Augenhöhe verhandeln. Die “Augenhöhe” ist leere politische Rhetorik. Die EU ist grösser und weniger abhängig von der Schweiz als umgekehrt, also hat sie mehr zu sagen. Das ist genau gleich, wie wenn man mit den USA oder China verhandelt. Was die EU bietet, ist, dass schweizerische Unternehmen auf Augenhöhe mit europäischen Unternehmen in den Wettbewerb treten können. Der Preis dafür ist die Akzeptanz europäischer Mindeststandards. Mehr dazu hier und hier.

FG: Die Partners Group [Anm. Gantners Firma] hat über 30’000 Mitarbeiter in der EU. Wir haben vier Standorte in der EU, und sind bereits komplett in der EU reguliert. […] Wenn unser Engagement also Auswirkungen auf unser Geschäft haben sollte, dann werden das eher negative sein.

Das stimmt wahrscheinlich. Die Vermögensverwaltungsbranche ist stark abhängig vom Zugang zum europäischen Markt. Sie ist darauf angewiesen, dass die EU die schweizerischen Finanzmarktgesetze als gleichwertig beurteilt, damit schweizerische Vermögensverwalterinnen ihre Dienste in der EU anbieten können. Ohne Rahmenabkommen gibt es keine neuen Gleichwertigkeitsentscheide und die alten gelten auch nicht ewig. Für grosse Player wie Ihre Partners Group ist das halb so schlimm. Sie können das EU-Geschäft problemlos auf ihre EU-Filialen auslagern. Die kleinen Vermögensverwalterinnen ohne Büro in der EU kommen viel eher ins Straucheln. 

FG: [Das Rahmenabkommen] ist ein total einseitiger Vertrag, indem sich die Schweiz verpflichtet, einseitig EU-Recht zu übernehmen. Ich sehe da nichts Bilaterales mehr.

Die Regeln der EU sind ziemlich einfach. Wer Zugang zum Binnenmarkt will, muss sich an die Regeln des Binnenmarkts halten. Wenn die EU die Regeln des Binnenmarkts nicht durchsetzt, dann ist sie kein Binnenmarkt mehr. Mehr dazu hier.

FG: Die EU macht viele gute Regeln, aber auch sehr viele schädliche wie die neue Datenschutzrichtlinie. 

Gerade die Datenschutzrichtlinie ist eine der EU-Regulierungen, der sich die Schweiz so oder so anpassen muss, ob mit oder ohne Rahmenabkommen. Passt die Schweiz ihr Datenschutzgesetz nicht an die europäischen Richtlinien an, dürften europäische Firmen keine Daten mehr in die Schweiz übermitteln. Mit dem Datenverkehr würde die gesamte Wirtschaft arg ins Stottern kommen. Aber eben: Das ist so, ob mit oder ohne Rahmenabkommen. Als weitere Lektüre zu diesem Thema lohnt sich der Brüssel Effekt.

FG: Die Schweiz hat kaufkraftbereinigt ein um 30 Prozent höheres Pro-Kopf-Einkommen als die EU, eben weil wir Dinge anders als die EU machen.

Dass wir Dinge anders machen, kann einer der Gründe sein für unser höheres Pro-Kopf-Einkommen. Ein anderer ist vielleicht, dass nicht die Hälfte unserer Kantone noch bis vor dreissig Jahren unter einem kommunistischen Regime lebten. Ein weiterer ist möglicherweise, dass die Schweiz durch Steuervermeidungstaktiken jahrelang Wertschöpfung aus Resteuropa für sich abgezweigt hat. Es gibt viele Gründe, zum Beispiel den Zugang zum EU-Binnenmarkt.

FG, als Antwort auf die Frage, ob die Schweiz nicht auch wegen des guten EU-Marktzugangs ein so hohes Pro-Kopf-Einkommen habe: Das ist Unsinn. Wenn der Binnenmarkt so erfolgreich wäre, müsste die EU insgesamt ja besser dastehen als die Schweiz. Der Binnenmarkt ist kein Erfolg, schauen Sie doch, wie schlecht es den Staaten am Rand geht, wie Griechenland oder Rumänien.

Erstens ist es ziemlich offensichtlich, dass die Schweiz vom guten EU-Marktzugang profitiert. Die schweizer Wirtschaft exportierte im Jahr 2019 Waren im Wert von 154 Milliarden CHF in den Binnenmarkt, also 21% der Wirtschaftsleistung. Ich freue mich auf eine logische Begründung weshalb dieser Marktzugang NICHT mitverantwortlich sein soll für die hohe schweizerische Wirtschaftsleistung. Laut dieser Studie aus dem Jahr 2019 profitiert die Schweiz sogar mehr als alle anderen europäischen Staaten vom Zugang zum Binnenmarkt. Ob der Binnenmarkt selbst ein Erfolg ist oder nicht, ist eine ganz andere Frage und hängt von der Zielsetzung ab, die man an ihn stellt. Was Griechenland angeht, war das Problem nicht die Teilnahme am Binnenmarkt, sondern ein Mix aus schlechter Fiskalpolitik der griechischen Regierung, katastrophaler Austeritätspolitik auf Druck Deutschlands und fehlende Solidarität in der Euro-Zone. Dass die Eurozone noch einige systemische Probleme hat, ist aber irrelevant bei der Beurteilung der Frage, ob die Schweiz vom Binnenmarkt profitiert oder nicht.

FG: Ich schätze […] die Kosten für ein Nein zum Rahmenabkommen auf 0.1 bis 0.2 Prozent des Wirtschaftswachstums pro Jahr. Ausserdem glaube ich nicht an die Theorie der erodierenden bilateralen Verträge ohne Rahmenabkommen, denn die EU hat ebenso grosses Interesse an geregelten Beziehungen wie die Schweiz.

Ok, schöne Schätzung. Mich würde die Grundlage dieser Schätzung interessieren. An die “Theorie” der erodierenden bilateralen Verträge muss man nicht glauben, man kann sie sehen. Die Börsenäquivalenz wurde schon entzogen (worauf die Schweiz gut reagieren konnte). Andere Äquivalenzen wurden einfach noch nicht gewährt, obwohl technisch alles stimmen würde, zum Beispiel bei der Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds. Als nächster Test dieser “Theorie” kommt im Mai der Marktzugang für die Medtech-Branche. Es stimmt, dass die EU ein Interesse an geregelten Beziehungen mit der Schweiz hat. Aber noch wichtiger ist ihr die Integrität des Binnenmarkts, denn diese ist für die EU eine Existenzfrage. Weshalb das so ist, erkläre ich hier.

FG: Wir sind bereit, weiter in ausgewählten Bereichen Zugang zum Binnenmarkt zu haben. Ohne Teil des Binnenmarkts zu werden.

Sehr grosszügig, diese Bereitschaft. Die Frage ist, ob die EU ebenfalls bereit ist.

FG: Wenn die Wahl ist, das Rahmenabkommen zu unterschreiben oder auf einen Brexit-Vertrag zurückzufallen, dann nehmen wir den Brexit-Vertrag.

Mal angenommen, die EU gewährte der Schweiz einen Brexit-Vertrag. Wieso wollen Sie den? Er führt zu mehr Bürokratie für die Unternehmen und die Unabhängigkeit ist in vielen Bereichen dennoch nicht gewährleistet. Im Sozial- und Arbeitsrecht und beim Umweltschutz muss Grossbritannien laut dem kürzlich unterzeichneten Handelsvertrag die wichtigsten Entwicklungen der EU in Zukunft ebenfalls mitmachen, wenn es keine Strafmassnahmen kassieren will. Auch das Datenschutzgesetz, das Ihnen nicht gefällt, muss Grossbritannien beibehalten, wenn es den Datenverkehr in die EU nicht austrocknen lassen will. Eine gute Übersicht dazu bietet dieses Video.

FG: Wenn wir den Rahmenvertrag unterzeichnen, sind wir derart in der Hand der EU, da wäre es konsequenter, gleich Mitglied der EU zu werden.

Das ist gut möglich. Aber wenn das unter den Bedingungen des Rahmenabkommens zutrifft, dann ist das Problem ohne Rahmenabkommen noch ausgeprägter. Solange die Schweiz am europäischen Binnenmarkt teilnehmen will, wird sie sich an europäische Regeln halten müssen. Heute kann die EU beliebig Druck machen auf die Schweiz, wenn ihr etwas nicht passt. Sie kann die Börsenäquivalenz aussetzen, sie kann die schweizerische Medtech-Branche unter Druck setzen und die Schweiz kann nichts dagegen tun. Im Rahmenabkommen hätte die Schweiz Zugang zu einem verbindlichen Streitschlichtungsmechanismus. Das machtpolitische Powerplay der EU würde eingedämmt, die Schweiz wäre also weniger “in der Hand” der EU. 

FG: […] langfristig wird [durch die Unterzeichnung des Rahmenabkommens] unser überdurchschnittliches Volkseinkommen an die EU angeglichen.

Hmm, jetzt haben Sie aber weiter oben gesagt, dass das Volkseinkommen ohne Rahmenabkommen sinken wird. Wenn es sich mit Rahmenabkommen an jenes der EU angleichen wird, heisst das, dass unser Volkseinkommen ohne Rahmenabkommen unter den europäischen Schnitt fällt? Entweder sehen Sie allgemein schwarz für die schweizerische Wirtschaft oder Sie haben sich in einen Widerspruch verwickelt. So oder so nimmt es mich wunder, mit welcher Logik Sie begründen, dass das Rahmenabkommen zu einer Angleichung des Volkseinkommens an die EU führen würde. 

Das wars vom Gantner-Check. Ich freue mich auf Ihre Antwort, Herr Gantner. Für die Vorbereitung Ihres nächsten Interviews empfehle ich Ihnen ein Abonnement des Hauptstadt-Berichts. Es könnte Ihnen dabei behilflich sein, die EU und somit auch die Verhandlungsposition der Schweiz etwas besser zu verstehen.

2 Antworten auf „Der Gantner-Check“

Das Rahmenabkommen, sprich der vorliegende Entwurf zum InstA ist missglückt, das zu leugnen und auf einen Abschluss zu drängen bringt uns nicht weiter. RG hat Recht, da wäre ein Beitritt besser (die Mitgliedstaaten begegnen sich ja – theoretisch zumindest – auf Augenhöhe, und davon kann beim InstA, für die Schweiz keine Rede sein), und wer nicht so weit gehen will kann sich mit dem EWR anfreunden oder sich darauf besinnen dass 7/8 der Weltwirtschaft ausserhalb der EU stattfinden.

Hey das mit den 7/8 mag insgesamt Stimmen wenn es aber um die Schweizer Exporte geht dann finden sich unter den Top 10 Länder in welche die Schweiz exportiert 6 aus der EU.

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