Die Schweiz ist eine Exportnation. 2023 exportierte sie Waren im Wert von CHF 274 Milliarden (exklusive Gold- und Edelsteinhandel) – das sind circa 34% des BIP. US-Präsident Trump und sein Versuch, das Welthandelssystem auf seine Bedürfnisse auszurichten, bedrohen einen grossen Teil davon. Die neue Ära der Willkür gehört den Starken und den Mächtigen. Dem Rest bleibt das Gottvertrauen.
Es gibt mindestens drei Dimensionen, in denen die Schweiz durch den von Trump angezettelten Handelskrieg Schaden nehmen kann: Ihre direkten Exporte in die USA, ihre Exporte in wichtige Handelspartner der USA (Deutschland) und die Schwächung des Welthandelssystems. Um den ersten Punkt zu verdeutlichen, hilft ein Blick auf die untenstehende Grafik. Im innereuropäischen Vergleich ist die Schweiz ausserordentlich abhängig von ihren Exporten in die USA. Die Schweizer Exporte in die USA machen 7% ihres BIP aus. Damit ist die Schweiz fast doppelt so abhängig wie Deutschland (3.8%).

* Die Zahlen der Niederlande und Belgiens sind mit Vorsicht zu geniessen. Ihre grossen Hafenstädte verfälschen die Handelsdaten (Rotterdam-Effekt)
Für den 2. April kündigte Präsident Trump den „Befreiungstag“ („Liberation Day“) an. Was das genau heisst, ist unklar. Es scheint aber, als hinge es mit sehr vielen Zöllen zusammen. Hier eine Liste von Erwägungen, die Trumps Angaben nach bei den kommenden Zollerhebungen eine Rolle spielen:
- Reziproke Zölle
- Das bilaterale Handelsdefizit
- Mehrwertsteuern
- Unliebsame Regulierungen, zum Beispiel betreffend US-Tech-Unternehmen
- Heimische Industrieförderung: Trump nennt in diesem Zusammenhang meist Stahl, Autos, Pharma, Chips
Es ist unklar, ob Trump sich an diese Liste halten wird, oder schlussendlich etwas ganz anderes machen wird, oder einfach breitflächige Zölle auf alle Importe erhebt. Dennoch lohnt es sich vielleicht, die genannten Faktoren für die Schweiz zu analysieren.
Reziproke Zölle
Trump erklärte die reziproken Zölle ursprünglich so, dass er für jedes Produkt so viel Zoll erheben will, wie das exportierende Land auf dasselbe Produkt erheben würde, wenn es aus den USA in jenes Land exportiert würde. Das klingt auf den ersten Blick fair, bricht aber mit dem „Most Favoured Nation“ (MFN) Prinzip der WTO. Dazu später mehr.
Wenn es nur bei dieser engen Definition der reziproken Zölle bleibt, dann hat die Schweiz nicht viel zu befürchten, denn seit 2024 erhebt sie keine Zölle auf Industrieprodukte mehr. Wenn die USA es sehr ernst meinte mit der Reziprozität, würde er die Zölle für die Schweiz sogar senken. Darauf wetten würde ich aber nicht.
Das bilaterale Handelsdefizit
Das US-Handelsdefizit ist Trump ein Dorn im Auge – er nennt es eine Subvention an die exportierenden Staaten. Das ist natürlich Humbug, aber das ist in Trumps Welt eine Nebensache. Ebenfalls egal scheint ihm, dass die USA im Dienstleistungshandel einen Überschuss erwirtschaftet. Für ihn zählt scheinbar nur der Güterhandel.
Wenn Trump sich bei der Zollsetzung am 2. April (oder irgendwann später) anhand des Handelsdefizits orientiert, hat die Schweiz ein Problem. Sie hat den viertgrössten Güterhandelsüberschuss aller europäischen Staaten (siehe Grafik unten).

Mehrwertsteuern und andere Regulierungen
Für die Schweiz wäre es besser, Trump orientierte sich an der Mehrwertsteuermetrik, denn die Schweiz hat mit 8,1% weit tiefere Mehrwertsteuern als ihre europäischen Nachbarn. In der EU variieren die Mehrwertsteuern zwischen 17% (Luxemburg) und 27% (Ungarn). Ebenfalls weniger direkt betroffen wäre die Schweiz, wenn Trump unliebsame Tech-Regulierungen mit Zöllen bekämpft.
Industriespezifische Zölle (Pharma!)
Heikler wird die Situation für die Schweiz, wenn Trump versucht, die Pharmaproduktion in die USA zu holen. Als er Ende März die 25%-Zölle auf Autos und Autoteile ankündete, sagte er, dass auch Zölle für die Pharmaindustrie in Planung seien. Pharmazeutische Produkte sind das mit Abstand wichtigste Exportprodukt der Schweiz – und in der Handelsbilanz mit den USA zeigt sich das auf besonders ausgeprägte Weise. Über die Hälfte der Schweizer Güterexporte in die USA 2024 gingen auf das Konto der Chemie- und Pharmaindustrie – ein Wert, der circa 3,5% des schweizerischen BIP entspricht. Allein über ihre Pharmaindustrie ist das Schweizer BIP also schon fast so abhängig vom US-Handel wie Deutschland mit all seinen Exportsektoren zusammen. Immerhin sind die Beschäftigtenzahlen der Pharmaindustrie nicht ganz so bedeutend.

Viele Schweizer Pharmaprodukte sind patentgeschützt. Das heisst, wenn Trump Schweizer Pharmaprodukte mit Zöllen belegt, würden vor allem die Preise für die Konsumenten und deren Versicherer teurer. Mit einem grossen Umsatzeinbruch wäre nicht zu rechnen, solange die USA Patente ausländischer Firmen weiterhin respektieren und die meisten Amerikaner weiterhin Geld haben, um ihre medizinische Behandlung zu bezahlen. Wie Trump zu Patenten steht, weiss ich nicht. Er ist jedenfalls nicht für seine Affinität zur bestehenden Rechtsordnung bekannt. Unmittelbar umsatzschädigend dürfte auch die in den USA bevorstehende Inflation und Rezession sein, die die Kaufkraft der US-Amerikaner schwächen wird. Ebenfalls schädlich wäre, wenn Elon Musks DOGE-Schergen sich daran machen würden, die staatlichen Krankenversicherungssysteme zu demontieren.
Tangente: Eine spannende Forschungsfrage wäre übrigens, wie abhängig die Schweizer Pharmaindustrie und somit die Schweizer Wirtschaft insgesamt vom ausbeuterischen US-Gesundheitssystem sind, in dem Patienten und Versicherungen teilweise exorbitant hohe Preise für Medikamente zahlen müssen.
Effekte auf andere Handelspartner
Die Schweiz ist nicht nur direkt als Exporteurin in die USA durch die Trump-Zölle betroffen. Der nach den USA zweitgrösste Exportmarkt der Schweiz ist Deutschland (NB: wenn man die EU als Block zählt, ist die EU der grösste Exportmarkt). Exporte nach Deutschland machten 2023 circa 5,7% des schweizerischen BIPs aus. Die zweitwichtigste Produktkategorie sind dabei die schweizerischen Maschinenexporte. 17% der Schweizer Exporte nach Deutschland fielen 2023 in diese Kategorie. Diese Exportkategorie ist mit der Krise der deutschen Industrie der letzten paar Jahre sowieso schon unter Druck. Die absehbaren US-Zölle auf Autos – das wichtigste deutsche Exportprodukt – wird der Schweizer Automobilzuliefersektor ebenfalls zusetzen.
Angriff auf das Welthandelssystem
Wie oben erwähnt, brechen die reziproken Zölle das wohl wichtigste Prinzip unseres aktuellen Welthandelssystems – das „Most Favoured Nation“ (MFN) Prinzip der WTO. Nach diesem Prinzip muss jedes Land die anderen Länder gleich behandeln, bzw. für jedes Produkt den Zollsatz anwenden, den es für das meistbegünstigte Land anwendet. Diese Gleichbehandlung dient dazu, dass alle WTO-Mitglieder von einer Handelsliberalisierung profitieren, auch kleine Staaten mit weniger attraktiven Märkten.
Wenn Trump seine Zölle nun anhand seines Reziprozitätsprinzips, des Handelsdefizits oder der unliebsamen Steuern und Regulierungen definiert, bricht er mit dem WTO-Prinzip. Er verschiebt die Handelspolitik von der regelbasierten, multilateralen Arena in den bilateralen Boxring, wo er für die USA und sich selbst einen viel grösseren Hebel sieht. Er macht es aber auch für alle anderen schwieriger, sich an die WTO-Regeln zu halten.
Länder mit höheren Zollschranken als die Schweiz, zum Beispiel China oder Indien, stehen vor einer schwierigen Entscheidung: Um die US-Zölle abzuwehren, könnten sie versucht sein, ihre Zölle für US-Produkte abzusenken. Um den gewünschten Schutz für die heimische Industrie aufrechtzuerhalten, könnten sie dies aber nicht für alle WTO-Staaten machen. Ein grosses Feilschen um bilaterale Zollsätze würde beginnen, das MFN-Prinzip wäre Geschichte.
In diesem bilateralen Zollbasar hätte die Schweiz denkbar schlechte Karten, da sie nicht mit einem grossen Konsummarkt locken kann. Zudem sind ihre Zölle ohnehin schon so tief, dass sie kaum neue Konzessionen machen kann. Die Schweiz wäre zwar durch ihr Netz an Freihandelsverträgen etwas geschützt, doch bei Neuverhandlungen hätte sie weitaus schlechtere Karten. Ohne schützendes MFN-Prinzip haben Kleinstaaten kaum Hebel gegenüber grossen Staaten.
Wenn der Alpenfirn sich im Sonnenuntergang des WTO-basierten Handelssystems rötet, betet, freie Schweizer Exporteure, betet!
(Vermeintliche) Lichtblicke
Aber könnte die ganze Sache nicht auch positive Aspekte haben für die Schweizer Wirtschaft? Die durch Trump ausgelöste Unsicherheit könnte stabilen Ländern wie der Schweiz auch einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Medienberichten zufolge suchen reiche US-Amerikaner Zuflucht in Schweizer Bankkonten. Dieses Image der Stabilität erlaubt es der Schweiz, weiterhin Kapital anzuziehen, was wiederum Schiesspulver ist, das man in einer Wirtschaftskrise wieder in den Hochlauf der Wirtschaft stecken kann.
Meine Befürchtung ist jedoch, dass dieser Eindruck von Stabilität täuscht. Der reich gedeckte Tisch der Schweizer Wirtschaft steht zwar nach wie vor auf starken Beinen, doch es sind immer weniger Beine. Die Schweizer Wirtschaft ist ausserordentlich abhängig vom Aussenhandel. In ihrem Aussenhandel ist sie wiederum ausserordentlich abhängig von einer Branche: Chemie/Pharma machte vor 20 Jahren ein gutes Drittel der Schweizer Exporte aus, jetzt ist es die Hälfte. In der Finanzbranche ist die Schweiz mittlerweile von einer einzigen Riesenbank abhängig, die too big to fail, aber vielleicht auch too big to rescue ist. Das ist besonders unangenehm, wenn Trump damit liebäugelt, US-Staatsschulden nicht zu bedienen, was die Mutter aller Finanzkrisen auslösen würde.
Zudem ist nicht ersichtlich, dass die Schweizer Wirtschaft bald durch neue Standbeine gestärkt würde. Gezwungen durch das Verhalten Chinas und der USA, wendet sich auch die EU einem protektionistischeren Industriepolitik-Modell zu. „Buy European“-Klauseln sind in fast allen neuen industriepolitischen Plänen der EU-Kommission vorgesehen. Neue Player in den geförderten Industrien dürften es sich zweimal überlegen werden, in der Schweiz zu investieren. Denn sie können nicht sicher sein, in der EU nicht benachteiligt zu werden.
Wie soll die Schweiz mit diesen Problemen umgehen? Meine fromme Seele ahnt zumindest einen Teil der Lösung auf dem hehren Mutterkontinent.
Mehr dazu im nächsten Hauptstadt-Bericht.