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Digitales Schweiz

Das sagt die Schweiz zu den EU-Vorschlägen zur Regulierung des digitalen Markts

Grüne, SVP und SP reagieren auf die Vorschläge der EU-Kommission zum Digital Services Act und zum Digital Markets Act.

Schweizer Reaktion zu DSA und DMA

Die EU-Kommission hat am 15. Dezember einschneidende neue Regulierungsvorschläge für das Internet vorgestellt: Den Digital Services Act (DSA) und den Digital Markets Act (DMA). Den Inhalt der Regulierungsvorschläge habe ich in diesem Beitrag zusammengefasst. Hier nur so viel: Sollte die Kommission sich mit diesen Regulierungsvorschlägen durchsetzen, wird sich die Internet-Wirtschaft grundlegend verändern. Auch in der Schweiz.

Das sollte also die schweizerische Politik interessieren, dachte ich. Ich gebe zu: Meine Vermutung war, dass sich das Interesse in der Schweiz in Grenzen hält. Einige Gedanken dazu weiter unten. 

Hier nun die bisherigen Reaktionen der schweizerischen Polit-Landschaft auf die Vorschläge der EU-Kommission.

Franz Grüter, Nationalrat, SVP

“Im DSA sehe ich einzelne Vorschläge, die sehr sinnvoll sind. Dass Plattformen nun eine Kontaktadresse hinterlegen müssen, ist zum Beispiel positiv zu bewerten. So kann man Plattformen verantwortlich machen, wenn Persönlichkeitsrechte verletzt werden. 

Aber insgesamt sieht der Vorschlag eher wie ein Hilfeschrei vonseiten der EU aus. Diese Regulierungen werden nicht zu mehr europäischen Anbietern führen, sondern vor allem bürokratische Hürden in den Weg stellen. Dabei bräuchte es eine offenere Kultur, die Neues zulässt. Es besteht zwar ein gewisser Handlungsbedarf bei der Regulierung der Plattform-Wirtschaft, aber die Regulierung nimmt einen sehr negativen Ansatz. Es bringt nichts, Gülle über die Tech-Firmen zu werfen. Schliesslich bieten sie gute und günstige Produkte an, die wir alle täglich brauchen und die uns das Leben erleichtern.

Die Schweiz ist als wichtiger Datenstandort von den neuen Regulierungsvorschlägen betroffen. Schweizerische Unternehmen werden sich an die neuen Regulierungen halten müssen, genau wie beim GDPR.” [Anmerkung: GDPR = General Data Protection Regulation = Datenschutz-Grundverordnung)]

Gerhard Andrey, Nationalrat, Grüne

“Ich bin sehr froh, dass die EU-Kommission vorwärts macht. Die EU ist der einzige Akteur, der die Macht und den Willen hat, grundlegend etwas zu verändern. Der Zugang zu Marktplätzen wurde mit den digitalen Plattformen privatisiert. So kann Amazon zum Beispiel Daten zum Marktverhalten der Kundinnen und Kunden sammeln und die Anbieter auf ihrer Plattform dann mit eigenen, besser platzierten Produkten aus dem Markt drängen. Dabei ist der Marktplatz traditionell eine Allmende. Alle müssen einen fairen Zugang dazu haben. Deshalb ist der DMA enorm wichtig. 

Der DSA ist ein nötiger Schritt, auch wenn es etwas nach Symptombekämpfung aussieht und zu Bürokratie führen wird. Dennoch begrüsse ich diese Massnahme, weil damit ja auch wichtige Sanktionsmöglichkeiten verbunden sind.

Ich denke, wir müssen grundsätzlicher denken. Marktplätze und Informationsplattformen sind systemrelevante Infrastrukturen. Und systemrelevante Infrastrukturen brauchen Transparenz, demokratische Legitimation und vor allem keine privaten Monopolbedingungen. Die Schweiz hat deshalb ein grosses gesellschaftliches und wirtschaftliches Interesse daran, dass die EU-Kommission ihre Regulierungsvorschläge umsetzen kann.”

Prisca Birrer-Heimo, Nationalrätin, SP

“Aus Sicht der SP gehen die vorgeschlagenen Regulierung der EU-Kommission in die richtige Richtung. Beide Gesetzesvorlagen wollen mehr Transparenz, für alle gleichlautende Regeln und klare Verantwortlichkeiten einführen. Zudem sollen sie für fairen Wettbewerb sorgen und die Marktmacht grosser Player einschränken.

Vor allem die Transparenzvorschriften und den Zugang zu Daten und Algorithmen der grossen Plattformen erachten wir als wichtig. Beim DSA ist es die Pflicht für alle digitalen Dienstleister, eine Kontaktstelle für die Behörden sowie eine gesetzliche Vertretung angeben zu müssen. Das stärkt die Verantwortung und die Durchsetzung der Konsumentenrechte (Transparenz, Einspracherechte, etc.)

Es handelt sich hier um ein sehr weit gehendes Regulierungsprojekt und es wird interessant sein zu sehen, was am Ende – nach den Verhandlungen im Parlament und Rat – davon übrig bleibt. Umstrittene Punkte werden wohl auch jene der Haftung sein. Für die Schweiz wird aber die grosse Frage sein, ob und in welcher Weise die Schweiz diese Regulierungen übernehmen kann und wird.”

digitalswitzerland

“digitalswitzerland hat die Präsentation der beiden Entwürfe der EU-Kommission für den digitalen Raum und den darüber stattfindenden Diskurs mit grossem Interesse verfolgt. Der Digital Markets Act und der Digital Services Act haben zum Ziel, mehr Fairness im Wettbewerb und einen transparenteren Umgang mit Nutzerinhalten zu gewährleisten. Die von digitalswitzerland ins Leben gerufene Stiftung Swiss Digital Initiative (SDI) knüpft genau hier an und will mit konkreten Projekten ethische Standards in der digitalen Welt verankern und einen relevanten Beitrag zum Umgang mit digitaler Ethik leisten. […] digitalswitzerland begrüsst einheitliche EU-Regeln für mehr Transparenz und Verantwortung.”

Nicolas Zahn, Co-Leiter der Arbeitsgruppe Digitalisierung, Operation Libero

“Ich sehe die Entwicklung positiv. Die Massnahmen fokussieren auf Bürger*innen und Innovation und gehen weniger mit dem Vorschlaghammer vor wie die USA (Break up Tech). Der Digital Services Act und der Digital Markets Act zeigen, dass es der EU ernst ist mit der Rolle des Technologieregulators. Sie folgt dabei der Richtung, welche die DsGVO [Anmerkung: Da ist sie wieder, jetzt auf Deutsch: Datenschutz-Grundverordnung] schon angedeutet hat, achtet aber bei der Ausgestaltung des neuen Regelwerks auch schon darauf, zuvor erkannte Fehler nicht zu wiederholen.

Der Fokus aus Schaffung von Transparenz und klaren Spielregeln für Akteure sowie bessere Wettbewerbsbedingungen strahlt auch bereits in andere Länder aus, so hat z.B. UK bekanntgeben, dass sie eine neue Regulierungsbehörde für Technologiefirmen erschaffen und dabei auch auf ex ante Regulierung statt ex post Regulierung setzen.”

Wen interessierts?

Wie am Anfang des Beitrags angesprochen, vermutete ich, dass das Thema in der schweizer Politik nicht viele interessiert. Um meine Vermutung zu prüfen, schrieb ich alle Parteisekretariate an und bat sie um Stellungnahme oder um die Vermittlung einer Politikerin, die Stellung nehmen könnte zu den Vorschlägen der EU-Kommission. Ich hakte mehrmals schriftlich und telefonisch nach. Dabei hatte ich einige angenehme Telefongespräche, aber zu einer Stellungnahme kam es nur bei der SVP, den Grünen und bei der SP. 

Die Gründe dafür können unterschiedlich sein. Vielleicht hielt sich das Interesse in Grenzen, weil Session war, vielleicht, weil die Festtage vor der Tür stehen, vielleicht, weil Corona alles dominiert, vielleicht, weil ich nicht die NZZ bin, vielleicht, weil kaum jemand weiss, was in der EU passiert und dass dort gerade an der Zukunft des Internets geschraubt wird. 

Wie dem auch sei: Die meisten schweizerischen Parteisekretariate scheinen nicht in der Lage zu sein, rasch zu einem aktuellen europapolitischen Thema Stellung zu nehmen. Das wäre die Voraussetzung, wenn man auf die Europa-Politik Einfluss nehmen wollte. Und auch jene, die auf die Anfrage reagierten, schienen sich nicht die Illusion zu machen, dass man auf europäischer Ebene Einfluss nehmen könnte.

“Wieso sollten schweizerische Parteien denn auf europäische Politik Einfluss nehmen wollen? Wir sind schliesslich nicht in der EU.”

Die Schweiz übernimmt viele Regulierungen aus der EU. Ein Grund dafür ist der “Brüssel Effekt”, den ich in diesem Beitrag erkläre. Noch wichtiger ist der autonome Nachvollzug, den Prof. Matthias Oesch in seinem neuen Buch “Schweiz – Europäische Union” erklärt (zusammengefasst in dieser Buchbesprechung). Bei vielen Themen geht es um technische Details, die politisch nicht sehr heikel sind. Aber ab und zu geht es um zutiefst politische Fragen. Zum Beispiel bei der Regulierung des Internets. Dort geht es um Macht, Ungleichheit und um verschiedene Verständnisse von Freiheit.

Und genau bei der Regulierung des Internets übernimmt die EU eine Vorreiterrolle. Die Schweiz zieht nach. In einer immer digitaleren Welt führt das zu einer immer weniger selbstbestimmten Schweiz.

Daran sind nicht die Parteisekretariate schuld. Sie haben wohl schlicht keine Ressourcen für ein gutes EU-Monitoring, geschweige denn für die Einflussnahme auf EU-Ebene. Das aktuelle Miliz-System verhindert wirkungsvollere Partei-Strukturen. Und dank der Introvertiertheit der schweizerischen Polit-Landschaft fällt dieses Manko auch kaum jemandem auf.

Wer ein (nicht allumfassendes, aber hey, immerhin etwas) EU-Monitoring will, ist herzlich eingeladen, den Hauptstadt-Bericht zu abonnieren.

Politikerinnen oder Organisationen, die ebenfalls gerne auf die Vorschläge der EU-Kommission reagieren wollen, können mich unter janos.ammann@hauptstadt-bericht.eu kontaktieren.